Isarphilharmonie: Eine Superheldin im Tastengewitter

Als Yuja Wang vor zwei Jahren im Konzert einmal eine Sonnenbrille trug, gab es einen Sturm im Wasserglas der sozialen Medien. Dem ging schnell die Luft aus, nachdem die Pianistin offenlegte, wie emotional aufgewühlt sie nach der als besonders rüde empfundenen Abfertigung bei der Einreise nach Kanada gewesen war - was sie hinter dunklen Gläsern verbergen wollte.
Sonnenbrille und Glitzerkleid - wie eine Superheldin
Im aktuellen Fall, so entnehmen wir der "New York Times", ist der Augenschutz eine ärztliche Anordnung nach einem kürzlich erfolgten Eingriff. Wie dem auch sei: Wenn Yuja Wang die Bühne der Isarphilharmonie im Glitzerkleid und mit klobiger Sonnenbrille betritt, sieht sie aus wie eine Superheldin.
Das Outfit passt wie maßgeschneidert auf das Klavierkonzert Nr. 1 Es-Dur von Franz Liszt, das mehr Action bietet als mancher Thriller. Die gefürchteten Sprünge in vierfachen Oktaven feuert Yuja Wang so knackig wie mühelos in den Steinway, zieht das Tempo sogar noch an, sodass die schweren Quader durch die Luft schweben wie durch Tricktechnik animiert.
Mit dem Triangel-Solisten liefert sie sich ein Duell: Wer kann die Klänge am hellsten zum Glitzern bringen? Viele der Effekte sind raffiniert, etwa, wenn sie innerhalb einer Kantilene - wie vorgeschrieben - das Pedal kurz aufhebt und die Linie damit schockartig abreißen lässt.
Ein Spiel zwischen Slapstick und Tastengedonner
Und noch in den geschwindest auf und ab wischenden Skalen findet Super-Yuja die Zeit, die Sonnenbrille nach oben zu schieben.
Nicht nur das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks ist von seiner Solistin merklich hingerissen. Auch Sir Antonio Pappano steigt in das zwischen Tastendonner und Slapstick changierende Spiel ein, wenn er etwa die Tutti betont herrisch hervorstoßen lässt und damit den Gestus des Virtuosenreißers ironisiert.
Sparsame Bewegungen neben starkem Blickkontakt
Die orchestrale Geschlossenheit herzustellen, die man dafür braucht, liegt dem Briten wie kaum einem anderen Dirigenten. Ohne Taktstock, doch mit sparsam-eindeutigen Bewegungen und nie abreißendem Blickkontakt, schwört er die Musikerinnen und Musiker für die Symphonie Nr. 4 "Das Unauslöschliche" von Carl Nielsen auf sich ein.
Den Hindernislauf durch dieses Werk mit seinen koordinationsbedrohenden Stolpersteinen und Fallstricken hatte neulich schon Santtu-Matias Rouvali mit den Münchner Philharmonikern bravourös absolviert. Pappano gelingt es genauso gut, die Gruppen des Symphonieorchesters zu ordnen.
Darüber hinaus zwingt er die vielen auseinanderstrebenden Elemente unter eine große Energiekurve und haucht Nielsens so einzigartig nüchterner Tonsprache sogar noch ungeahnte Wärme ein: eine willkommene Ergänzung zur jüngsten philharmonischen Interpretation dieses Werkes.
Einen Mitschnitt des Konzerts finden Sie auf BR-Klassik.