Interview

Isabelle Rejall in der Mohr-Villa: Lieder wie vom anderen Stern

Sie stellt erstaunliche Komponistinnen des 17. Jahrhunderts vor: Die Münchner Altistin Isabelle Rejall im AZ-Interview.
von  Christa Sigg
Die Altistin Isabelle Rejall ist an der Staatsoper Unter den Linden Berlin, mit dem Freiburger Barockorchester und Anima Eterna Brugge aufgetreten. Im Zentrum ihres Interesses steht die Alte Musik, die sie mit ihrem Mann, dem Lyriker und Literaturwissenschaftler Tobias Roth, erforscht.
Die Altistin Isabelle Rejall ist an der Staatsoper Unter den Linden Berlin, mit dem Freiburger Barockorchester und Anima Eterna Brugge aufgetreten. Im Zentrum ihres Interesses steht die Alte Musik, die sie mit ihrem Mann, dem Lyriker und Literaturwissenschaftler Tobias Roth, erforscht. © privat

Mit Monteverdi ging es los. Isabelle Rejall und befreundete Kolleginnen wollten während des Lockdowns nicht verstummen, sondern lieber neue Konzepte entwickeln: etwa die Musik aus geschlossenen Räumen holen, um ohne Cembalo sogar mobiler zu werden. 

Und wer bereits auf "Abwegen" wandelt, verlässt auch gerne die ausgetretenen Pfade des Repertoires. Warum nicht vergessene Werke ausprobieren, die es verdient haben, gehört zu werden? Musik von Komponistinnen des 17. Jahrhunderts zum Beispiel.

Francesca Caccini (1587-1640) war eine gefeierter Sängerin und schuf als Komponistin eine der frühesten europäischen Opern. Der in Venedig tätige Palma il Vecchio hat ihr wahrscheinlich als "La Bella" ein Denkmal gesetzt.
Francesca Caccini (1587-1640) war eine gefeierter Sängerin und schuf als Komponistin eine der frühesten europäischen Opern. Der in Venedig tätige Palma il Vecchio hat ihr wahrscheinlich als "La Bella" ein Denkmal gesetzt. © WikiCommons/Museo Thyssen-Bornemisza Madrid

Unter dem Titel "Verschwestert" ist daraus ein rundes Programm aus Liedern und Texten geworden, das Rejall mit der Münchner Compagnia Leggiadria am Sonntag in der Mohr-Villa aufführt.

Isabelle Rejall: Frauen brauchten damals "sehr aufgeschlossene Eltern"

AZ: Frau Rejall, die Renaissance wird als Aufbruch und große Befreiung des Menschen begriffen. Ihr Programm könnte das auf den ersten Blick unterstreichen.
ISABELLE REJALL: Dieser Aufbruch betraf aber vor allem die Männer. Wir sehen den großen Fortschritt in allen kulturellen und gesellschaftlichen Bereichen, ungefähr so, als sei um 1500 plötzlich das Licht angeknipst worden. Aber die Frauen hatten nach wie vor nichts zu sagen und wurden von ihren Familien wie Waren verschachert. Wer damals Witwe wurde, musste schnell wieder heiraten, um das Erbe nicht zu verlieren. Eine Frau brauchte schon sehr aufgeschlossene Eltern, um in den Genuss von Bildung zu kommen. Die Komponistinnen Barbara Strozzi und Francesca Caccini hatten dieses Glück.

"Lucrezias Musik muss packend und aufwühlend gewesen sein"

Die beiden sind aber auch in einem Künstlerhaushalt aufgewachsen. Andernfalls wären wahrscheinlich auch aus Artemisia Gentileschi und später Angelika Kauffmann keine Malerinnen geworden.
Das kommt noch hinzu, in einem Künstlerumfeld haben die Mädchen vieles ganz unmittelbar mitbekommen. Aber ihr Talent musste schon herausragend sein, um professionell gefördert zu werden. Die 1590 geborene Lucrezia Vizzana aus Bologna ist da ein gutes Beispiel. Sie hatte eine enorme Begabung, sodass sie bereits mit acht Jahren ins Kloster kam, um komponieren zu lernen. Ihre Tante Camilla Bombacci war die Novizenmeisterin und zudem die Organistin, die sich um die Ausbildung gekümmert hat. Lucrezias Musik muss so packend und aufwühlend gewesen sein, dass die Nonnen förmlich ausgeflippt sind. Wie im guten Popkonzert! Das hat die Neiderinnen auf den Plan gerufen, und Lucrezia wurde beim Papst verpfiffen.

Was ist dann passiert?
So genau weiß man das nicht, nur, dass Lucrezia aufgehört hat zu komponieren. Aber das Kloster war oft genug eine Möglichkeit, Bildung und Ausbildung zu erlangen. Ganz davon abgesehen, dass man Frauen das Schöpferische nicht zugetraut hat. Diese Vorstellung reicht bis in unsere Tage. Also blieb den Frauen die Ausführung, also das Singen oder Musizieren. Wobei es auch da wieder Einschränkungen gab.

Inwiefern?
Francesca Caccini zum Beispiel kam aus einer wohlhabenden Familie, die am Hof der Medici wichtige Ämter bekleidet hat. Ihr Vater war Komponist, die Mutter Sängerin. Und auch Francesca sang betörend schön, spielte Cembalo und Laute und konnte sich selbst begleiten. Sie war so erfolgreich, dass sie am französischen Hof auftrat. Ferdinando de Medici hat Francesca schnell wieder nach Florenz beordert, wo sie die wichtigste und bestbezahlte Musikerin am Hof wurde. Doch nachdem sie einen Adligen geheiratet hatte, durfte sie nicht mehr öffentlich auftreten. Unglaublich. Dabei war die Caccini auch noch eine Pionierin: "La liberazione die Ruggiero dall'isola d'Alcina" von 1625 gilt als früheste erhaltene Oper einer Komponistin.

Isabelle Rejall: "Die Melodien reißen mit"

Wie finden Sie entsprechendes Notenmaterial?
Das ist mit viel Recherche verbunden, wenngleich inzwischen einige Werke von Komponistinnen verlegt wurden. Aber Frauen sind in diesem Bereich immer noch völlig unterrepräsentiert. Es geht uns nicht darum, dass nun jede weibliche Note wie ein Weltwunder bejubelt wird, für uns ist vielmehr die Qualität entscheidend. Barbara Strozzi hat Liebeslieder wie vom anderen Stern geschrieben, das sind traumhafte Melodien, besser geht's nicht. Diese Komponistin steht Claudio Monteverdi in nichts nach, ich finde ihre Musik zum Teil sogar noch aufregender. Bei "L'Eraclito Amoroso" bricht einem fast das Herz.

Das wird auch oft aufgeführt.
Und die Reaktionen sind immer großartig! Diese Musik ist gesanglich übrigens gar nicht weit von der Popmusik entfernt. Denn die Lieder erfordern keinen besonders großen Stimmumfang, die Melodien reißen mit, es geht um Leidenschaft, um intensives Liebesglück und tiefen Schmerz. Da wird schon mal geschluchzt, eben wie beim Lovesong oder in der Pop-Ballade. Warum traut man also dem Konzertpublikum nicht zu, Gefallen an dieser Musik zu finden?

Komponistin, Musikerin - und vermutlich auch Kurtisane war Barbara Strozzi (1619-1677), die hier wohl als "Gambenspielerin" um 1640 von Bernardo Strozzi konterfeit wurde.
Komponistin, Musikerin - und vermutlich auch Kurtisane war Barbara Strozzi (1619-1677), die hier wohl als "Gambenspielerin" um 1640 von Bernardo Strozzi konterfeit wurde. © Elke Estel/ Hans-Peter Klut

Wie sind Barbara Strozzis Kompositionen denn bei den Zeitgenossen im 17. Jahrhundert angekommen?
Es gibt kaum Äußerungen dazu, aber wir wissen, dass Barbara Strozzi extrem viel komponiert hat. Fast alles wurde verlegt, sie kam aus Venedig, dem Dorado des Buchdrucks. Aber es muss ja große Relevanz gehabt haben. Manches hat die Strozzi Adligen gewidmet, in der Hoffnung, eine Anstellung am Hof zu bekommen. Doch im Gegensatz zu Francesca Caccini blieb ihr das verwehrt.

"Barbara Strozzi war eine Frau voller Leidenschaft" 

Über die Strozzi kursieren wilde Geschichten. Hat sie sich wirklich ihren Lebensunterhalt als Kurtisane verdient?
Schwierig. Sie hatte vier Kinder durchzubringen. Und in Venedig war es durchaus üblich, dass gebildete, musikalische Damen - und das war Barbara Strozzi - reichen, kultivierten Männern "Gesellschaft geleistet haben". Das wurde gut bezahlt. Der Gesandte des Herzogs von Mantua schwärmt in einem Brief über ihre wunderbaren "tette", na ja, ihre Brüste, zwischen denen sie stolz eine Kette zur Schau trage, die sie von der Erzherzogin von Innsbruck für eine Komposition bekommen habe. Bezeichnenderweise ist die Strozzi auch auf einem mutmaßlichen Porträt, das sich heute in Dresden befindet, sehr offenherzig dargestellt. Sie war sicher kein Kind von Traurigkeit, eine Frau voller Leidenschaft und außerdem selbst das Resultat einer Affäre ihres Vaters Giulio Strozzi mit einer Hausangestellten. Giulio Strozzi hat seine Tochter sehr gefördert. Bei ihm gingen Künstler und Gelehrte ein und aus. Auch Musikstars wie Monteverdi, für den Strozzi die Libretti geschrieben hat, oder Francesco Cavalli, der Barbaras Lehrer wurde.

Cavallis "La Calisto" war an der Bayerischen Staatsoper über Jahre ein echter Publikumserfolg.
Und man wartet auf die nächste unbekannte Oper, denn gerade Cavallis Verve hat viele Operngänger verblüfft. Solche Werke werden viel zu selten an den großen Häusern gespielt. Deshalb sage ich, grabt die Sachen aus und führt sie bitte auf! Auch die Frauen, die wir jetzt spielen, würden auf großen Bühnen bestehen. Ich bin jetzt 37 Jahre alt und habe keine Lust mehr, mir die x-te "Aida", "Bohème", "Traviata" anzuschauen oder irgendeine Oper, in der es wieder um eine schwindsüchtige, halbtote Frau geht, der ein Mann hinterherhechelt.


"Verschwestert" am Sonntag, 13. März, 17 Uhr, Mohr-Villa, Situlistraße 73, Eintritt frei, Spenden sind willkommen; www.compagnia-leggiadria.com

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