In dulci jubilo!

Bei einem Weihnachtskonzert, bei dem tatsächlich "Leise rieselt der Schnee" und "O Tannenbaum" gesungen werden, müsste doch auch der strengste Geschmacksrichter einmal abschalten können. Diana Damrau kann schon eine Traviata nicht ohne Lächeln singen. - bei "Morgen, Kinder, wird's was geben!" glaubt man die Vanillekipferl-Süße vollends auf der Zunge zu schmecken. Der Trompeter Matthias Höfs ist einer der legitimen Nachfolger des Blech-Belcantisten Maurice André. Und das Münchner Rundfunkorchester klingt sowieso super. Auch sonst passt alles: der Sitzplatz weit vorn, die Isarphilharmonie geheizt, der Kritiker wird zum ganz normalen Menschen.
Doch dann rattert die erste Arie der Kantate "Jauchzet Gott in allen Landen!" von Johann Sebastian Bach los wie eine überdrehte Spielzeugeisenbahn. Die Solotrompete könnte durchaus noch schneller und lauter tirilieren - und tut es auch. Und Diana Damrau lässt nicht nur gewandt die Koloraturen perlen, sondern erfüllt auch den Text mit Herz und Verstand - durch das orchestrale Dickicht kommt allerdings nur knapp die Hälfte ihrer Kunst durch, und vom Text bleibt im ganz unbesinnlichen Dauer-Agitato fast nichts mehr übrig.
Jérémie Rhorer taktiert ohne professionelle Schlagtechnik
Es widerspricht dem Geist des Christfestes, doch ehrlicherweise muss man auf einen Hauptschuldigen zeigen, nämlich den Dirigenten Jérémie Rhorer. Zu den Mentoren des studierten Cembalisten und Komponisten gehört ein ausgewiesener Barock-Experte wie William Christie, die Mozart-Einspielungen, die der Franzose mit dem von ihm gegründeten Ensemble "Le Cercle de l'Harmonie" vorlegte, sind von hohem Niveau.
Da überrascht es nicht wenig, wenn Rhorer zwar mit Stock, doch ohne professionelle Schlagtechnik taktiert. Und es enttäuscht, dass der bald 50-jährige weder in der Kantate von Bach noch in den Arien von Georg Friedrich Händel irgendeinen Ausdruck erkennt oder mitteilen kann. Im Concerto grosso g-moll von Antonio Corelli, dem "Weihnachtskonzert", verpuffen die dramatischen Pausen, die berühmte Pastorale zieht beiläufig vorbei, kurz: Rhorer zeigt sich ahnungslos in Bezug auf den Sinn dieser Musik.
Bewundernswert ist, wie schnell die Musikerinnen und Musiker des Münchner Rundfunkorchesters das merken und selbständig Rücksicht nehmen auf den zarten Sopran von Diana Damrau und ihre zärtlich-intime Gestaltung. Noch dazu sind die Arrangements deutscher und internationaler Weihnachtslieder von Richard Whilds, seines Zeichens komponierender Korrepetitor an der Bayerischen Staatsoper, motivisch und harmonisch äußerst raffiniert. So kann dann doch selbst der Kritiker das "In dulci jubilo!" inwendig, aber nicht weniger freudig, mitsingen.
Das Programm des Konzerts als Doppel-CD: "Diana Damrau: My Christmas" (Sony)