Im tiefen Wald geht manches leichter
Blaibach, das klingt überschaubar, nach wassernaher Idylle, Erholung. Und tatsächlich: Wen es hierher verschlägt, zwischen Bad Kötzting und Miltach, der hat erst mal Ruhe. Mittlerweile mehr, als den Bewohnern lieb sein kann. Arbeit gibt’s woanders, der Ortskern leert sich, das übliche Bayerwald-Trauerspiel. Doch wo Platz ist, kann Neues entstehen. Leichter und schneller, als in florierenden Zentren. Und während man in München noch lange um einen Standort ringen wird, haben die Blaibacher schon bald einen neuen Konzertsaal.
Nicht etwa, weil es ihr tiefer Wunsch gewesen wäre, so, wie klassikbegeisterte Münchner unter der Stabführung eines namhaften Dirigenten die akustisch sagenhafte Isarphilharmonie herbei sehnen. Im Gegenteil, der Konzertsaal flog der 2000-Seelen-Gemeinde einfach zu. Anders ausgedrückt: musste den Bürgern schmackhaft gemacht werden. Denn die Musik spielt bekanntlich woanders. Aber gerade das Festival „Kulturwald”, das heute beginnt und künftig in Blaibach ankern soll, zeigt, dass aus dem Nichts rasch Erstaunliches entstehen kann.
Politiker sprechen dann gerne von wahr gewordenen Visionen. Vermutlich muss man aber nur wahnsinnig genug sein, mitten in der Pampa etwas Exotisches anzuzetteln. So wie die Schulfreunde Thomas E. Bauer und Thomas Gstettenbauer. Vor fünf Jahren haben der Sänger und der Gastwirt auf einem Wildberghof bei Bernried die ersten Konzerte veranstaltet. Eine eher wilde, durchaus hochkarätige Mischung aus Kammermusik, die zwischendurch auch mal in den Wald zog, handfesten Neutönern, Chansons, nicht ganz ernst gemeinter Operette und Volksmusik. Funktioniert hat das vor allem, weil Bauer ein rastloser Kommunikator und begnadeter Netzwerker ist.
Zum einen brachte er seine Musikerfreunde dazu, für wenig Geld aufzutreten, wenn nicht gar umsonst. Zum anderen kennt der in Metten aufgewachsene Bauer seine Bayerwaldler. So einer kann Politiker und Sponsoren überzeugen, vom skeptischen Ortsvorsteher bis zum global agierenden Chiphersteller. Der 42-Jährige weiß aber auch, „dass Luftnummern hier keine Chance haben”, wie er sagt. Da ist es letztlich egal, ob man Förderer für ein Festival oder eben jetzt fürs Konzerthaus sucht. Am Ende zählen die Zahlen. Bauer konnte mit dem Gutachten eines Wirtschaftsprüferbüros belegen, dass sein Konzertsaal neben dem bereits geplanten Bürgerzentrum in Blaibach auch ökonomisch Sinn macht. Vom Innenministerium gab’s deshalb grünes Licht im Rahmen des Projekts „Ortschaft Mitte”, und auch im Gemeinderat wechselten die letzten Gegner ins Lager der Befürworter.
Nächste Woche beginnen die Abrissarbeiten, und wenn der letzte Euro für den Saal fix ist, entsteht nach den Plänen von Peter Haimerl ein ziemlich moderner Quader, der gekippt zum Gutteil in der Erde steckt und sich durch seine relativ geringe Größe gut in die Umgebung einfügen soll. Was Denkmalpfleger erwartungsgemäß ganz anders sehen.
Das Baumaterial kommt aus der Region: Neben Holz und Glas wird vor allem außen ein Beton aus geschichtetem blauen, braunen und schwarzen Granitschotter der Umgebung verwendet. Und natürlich stammt auch der erfolgreich in München agierende Architekt, wie sollte es anders sein, aus dem Bayerischen Wald. Haimerl war es auch, der Bauer auf einen alten Bauernhof aus der Barockzeit aufmerksam gemacht hatte – mitten in Blaibach. Der ehemalige Regensburger Domspatz überlegte nicht lange und kaufte das historische Ensemble. Dass er sein halbes Grundstück für den Konzertsaal hergibt, zum Nulltarif, wie er nebenbei erwähnt, dürfte die Blaibacher erst recht eingenommen haben.
Rund zweieinhalb Millionen Euro soll der Bau kosten, fast das Doppelte dürfte er später wert sein. Wenn eine regelmäßige Bespielung klappt. Aber da ist Bauer um keine Idee verlegen. Eine Bachakademie Bayerischer Wald soll hier entstehen, dafür sei der neue Saal mit seinen 200 Plätzen geradezu ideal, sagt er. Und dann schwebt dem Bariton mit Hang zum Liedgesang eine Schubertiade vor – befreundete Sänger wie Christian Gerhaher hätten ihr Kommen längst zugesagt. Dazu gebe es bereits eine Kooperation mit der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, die eh verstärkt in die Provinz gehen will, sowie mit der Münchner Musikhochschule und damit vielen auftrittshungrigen Nachwuchskünstlern.
Hochfliegende Pläne hegt Bauer erst recht für den „Kulturwald”. Salzburgs Festspiel-Intendant Alexander Pereira habe ihm geraten „wenn du was bewegen willst, musst du glänzen”. Also glänzt Bauer, der sich von seinem Festival-Partner Gstettenbauer getrennt und damit auch von einer eher bodenständigen Ausrichtung verabschiedet hat, indem er noch mehr auf Qualität und gute Namen setzt. Mit Alte-Musik-Guru Sigiswald Kuijken, dem Echo-verwöhnten Vokalensemble Singer Pur oder dem Bruckner Orchester Linz unter Dennis Russell Davis bekommen Konzertbesucher in Viechtach, Zwiesel, Niederaltaich, Straubing und vor allem in Deggendorf ein Programm, für das sie sonst weit fahren müssten. Und das zudem deutlich teurer als die kulturwaldüblichen 10 bis 25 Euro wäre.
Weil das aber noch lange nicht genug ist, darf’s 2014 dann endlich auch große Oper sein. Wagners „Rheingold” will Bauer im Kloster Aldersbach aufführen, wo man schon lange mit einer Bühne liebäugelt. Gleichwohl in einer abgespeckten Version. Und wenn sein allerkühnster Traum in Erfüllung geht, dann besorgen die katalanischen Spektakel-Megalomanen von La Fura dels Baus die Inszenierung. Auch mit denen ist Bauer bestens verbandelt, das wäre dann der Coup schlechthin. Und man darf davon ausgehen, dass er längst ein paar lokale Firmen im Visier hat, die dafür Kräne und Baumaschinen spendieren.
Festival Kulturwald vom 31. August bis 9. September 2012
Programmauswahl:
Hofmannsthals „Jedermann“ (31.8., 1. und 2.9.) mit einem Musik- und Lichtspektakel, "Kosmos Bach" mit Sigiswald Kuijken und La Petite Bande (3. und 4.9.) oder Il Gardellino und Marcel Ponseele, Oboe (5.9.), Vokale Kammermusik mit Singer Pur (6.9.); Beethovens Neunte mit dem Bruckner Orchester Linz unter Dennis Russel Davis (7.9.), Kammermusik von Edvard Grieg mit dem Engegard Quartet (9.9.)
Information und Karten: Kulturwald, Graben 2, Bernried, Tel. 09905/704889; kulturwald.de