Im Maul der Megakochshow
"Gut, dass mei Enkel no die richtige Inszenierung gsehn hot”. Mit Weltuntergangsmiene verzog sich der ältere Herr aus Reihe zwölf in die Pause, so als hätte man ihn eben mit dem Horror-Blockbuster „Hänsel und Gretel: Hexenjäger” malträtiert. Die vielen Kinder, die ins Nationaltheater gekommen waren, sahen das allerdings ganz anders. So lautstark wie nach der Premiere des Humperdinck-Klassikers wurde in den heiligen Hallen der Staatsoper jedenfalls selten gejohlt.
Und um es gleich vorweg zu nehmen: Es gibt keinen Grund sich zu grämen, geschweige denn, entnervt aus der Vorstellung zu stürmen. Wer sich von Lebkuchenhäuslein und süßlichem Engelstandaradei lösen kann, hat in Richard Jones’ Neuproduktion von „Hänsel und Gretel” durchaus Vergnügen. Wobei die Sache gar nicht so taufrisch ist, nach der Premiere im walisischen Cardiff kamen Stationen in Chicago, San Francisco, New York... Was der dringend benötigten Staubwedelaktion in München keinen Abbruch tat.
Das große Fressen steht im Fokus
Mehr denn je steht das Essen oder besser: das große Fressen im Fokus. Wort für Wort kann man diese Lesart im Libretto verfolgen, und Jones nimmt das Gerede von Reisbrei und Torten ernst – mit sämtlichen Fantasien, die uns hierzulande nur noch im Diätwahn heimsuchen. In der grauen Besenbinder-Küche (Bühne und Kostüme: John Macfarlane) gibt’s nix zu beißen, eher im Wald, dessen Baumkronen die Köpfe von Anzugträgern zieren. Dass die verirrten Kinder, die mit Kleidchen, Zöpfen und kurzen Hosen an harmlose Hummelfiguren erinnern, auch vom Schmausen träumen, wer mag ihnen das verdenken?
Statt der vierzehn Englein erscheint ein Bataillon von Köchen à la Bocuse, der Oberkellner mit Fischkopf lässt an „Alice im Wunderland” denken, und in der Hexen-Groß-Backstube (Harry)pottert es zwischen Riesenkühlschrank, Megamixer und knallbunten Torten, die Kindergeburtstag und Kochshow in einem markieren. Die Kuchenschlacht gefällt vor allem dem jungen Publikum, dass Rainer Trost als Wabbel-Hexe im Fatsuit durch die Szene stolpert sowieso, und wenn die böse Alte später als brauner Riesenstollen (es grüßt Greenaways „Der Koch, der Dieb...”) auf dem Tisch landet, gibt’s Szenenapplaus.
Hitler-Bärtchen? Sieht nur, wer's weiß
Sind Kinder grausam? Nicht mehr als dieses Märchen. Oder die Erwachsenen, die’s abstrakter bevorzugen. Wer genau zuhört, macht das Spektrum des Grauens – und noch viel mehr Schönes, Berührendes, Heiter-Amüsantes – auch in Engelbert Humperdincks Partitur aus, die sich Stück für Stück vom Schatten Wagners und den Meistersingereien emanzipiert. Erst recht im von Dirigent Tomáš Hanus bevorzugten (von Hans-Josef Irmen kritisch edierten) Notenmaterial, das das Staatsorchester (mit manchem zu verschmerzenden Wackler) zu einem herrlich transparenten, zuweilen glitzernden Teppich webt.
Die Sänger hatten’s also behaglich – Janina Baechle und Alejandro Marco-Buhrmester als Eltern, der tragikomische Rainer Trost und das fabelhafte Titelpaar: Hanna-Elisabeth Müller mit fein fokussiertem, klaren Sopran und Tara Erraught auf dem Weg zur Rheintochter. Kurios und schade, dass kaum ein Wörtchen zu verstehen war.
Ach herrje, und die im Vorfeld viel zitierte Hitler-Fliege sieht man auch nur, wenn man’s weiß – und die Gretel nach dem Verfrachten der Hexe in den Ofen mit ihren Schokoladenfingern die vermaledeite Stelle beim Brüderlein trifft.
Wieder am 27. März, am 1., 4. und 7. April 2013, Tel.2185-1960
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