Im Himmel auf Erden
Wenn das Orchester der Bayerischen Staatsoper am 7. September als wohl erstes westliches Orchester in der krisengeschüttelten Kaschmir-Region auftritt, ist das ein großer Moment für den Dirigenten Zubin Mehta (77). Zum ersten Mal gibt der Inder ein Friedenskonzert in seinem Heimatland.
AZ: Herr Mehta, war das Konzert des Bayerischen Staatsorchesters in Kaschmir Ihre Idee?
ZUBIN MEHTA: Als ich im vergangenen Jahr in Delhi das Bundesverdienstkreuz bekommen habe, habe ich gesagt, wie schade es ist, dass ich überall auf der Welt Friedenskonzerte gegeben habe, aber nie in meinem Land. Ich möchte so gerne einmal in Kaschmir, das seit 1947 ein Krisengebiet ist, für Hindus und Muslime zusammen musizieren. Und jetzt gibt es ein Konzert, bei dem Hindus und Muslime zusammensitzen und im historischen Garten Shalimar Bag Beethovens Fünfte sowie Musik von Haydn und Tschaikowsky hören.
Wie ist Ihre persönliche Beziehung zu der Region?
Wir Inder sind alle große Kaschmir-Fans. Das ist der Himmel auf Erden. Ich bin dort dreimal gewesen. 1973 habe ich mit meinen Kindern einen Pilgerpfad gemacht. Wir waren zwei Tage und Nächte auf Pferden unterwegs zur berühmten Höhle von Shiva mit der großen Eissäule. Jedes Jahr Anfang August gehen tausende Leute dorthin – und besonders kinderlose Frauen, die dort darum beten, dass Shiva sie segnet und sie Kinder bekommen. Es war eine der schönsten Reisen, die ich je gemacht habe. Man kann aus jedem Fluss trinken, alles ist so pur und die Natur dort ist völlig unberührt.
Aber es ist Krieg: Seit 1947 kämpfen Indien und Pakistan um die Region.
So lange das Problem dort nicht gelöst ist, dürfen Inder dort kein Land kaufen, keine Häuser bauen. Das hat die Natur in Kaschmir pur gehalten. Ganz offen gesagt: Wir machen nicht den Fehler, den die Israelis machen mit ihren Siedlungen.
Wie erleben Sie die Region kulturell? Welche Rolle spielt die Musik in Kaschmir?
Kaschmir hat eigene Musik und wir werden am Anfang des Konzertes mit Musikern aus der Region ihre Musik spielen. Es ist eine sehr volkstümliche, sehr rhythmische Musik und, wie alles in Indien, ohne Harmonie, einstimmig.
Was versprechen Sie sich von Ihrem Auftritt dort?
Wir sind nur Musiker, wir können die Grenzen nicht ändern, aber wir können Leute zum Lächeln bringen. Innerer Frieden ist auch wichtig – nicht nur der auf dem Papier. Man darf die Kraft der Musik nicht unterschätzen. Ich habe das so oft erlebt, das ist kein Klischee, das wirkt.
Was haben Sie da erlebt?
Ich musiziere, die anderen erleben. Aber wenn Juden und Araber in Israel zusammen sitzen und Beethovens Neunte hören, sind hoffentlich ein paar Leute dabei, die sich davon inspiriert fühlen, sich anlächeln und sagen: Schau, wir sollten doch endlich zusammen leben.
Wie erleben Sie Ihr Land heute? Aus Indien kommen derzeit oft Horrorgeschichten von brutalen Vergewaltigungen und anderen Verbrechen an Frauen.
Eigentlich ist Indien ein stabiles Land, auch für Frauen. Ich sage immer, dass junge Frauen in Bombay nachts spazieren gehen können, ohne dass etwas passiert, aber es stimmt: Im Norden sieht es anders aus. Trotzdem gibt es auch ein anderes Indien, ein wunderschönes Indien.
Erleben Sie Indien insgesamt als liberales Land?
Ja, sicher. Wir sind eine Demokratie mit mehr als einer Milliarde Leute. Kleine Demokratien können das nicht so kritisieren, denke ich. Bei acht Millionen in Österreich oder 16 Millionen in Australien ist es schwer, zu entsinnen, was es bedeutet, mehr als eine Milliarde Menschen zu regieren.
Wünschen Sie sich dafür vom Westen mehr Verständnis?
Manchmal ja. Indien ist im Wachstum. Wir haben mehr als 400 Millionen gebildete Leute – das ist mehr als in Europa. Aber wir haben eben auch noch immer 800 Millionen ungebildete, die nicht lesen und schreiben können. Indien ist ein Land der Bauern, aber in den kommenden 50 Jahren wird die Zahl der Gebildeten deutlich steigen.
Das Bayerische Fernsehen zeigt das Konzert am 8. September um 9.25 Uhr