Igor Levit lässt den Flügel fauchen
Wie Ludwig van Beethoven ist auch Igor Levit ein enorm politischer Mensch. Auch den Eigensinn und die Willensstärke teilen sich der Komponist und der Pianist. Es ist aber vielleicht die Sehnsucht nach Freude, die beide künstlerisch am stärksten antreibt und damit diejenige Gemeinsamkeit, die Levit zu einem der derzeit führenden Beethoven-Interpreten macht. Diese Freude ist überhaupt nicht naiv, vielmehr ein bewusstes Sich-Freuen über das Wunder der Musik und, ja, schon auch über die eigenen Fähigkeiten.
Eine Symphonie von Beethoven in der Klavierbearbeitung von Franz Liszt auf das Programm zu setzen, zeigt darüber hinaus Spaß am Spektakulären. Wenn es noch dazu die von allen Orchestern ständig gespielte Siebte ist, vielleicht sogar einen gewissen Übermut.
Das Werk wird ein Anderes
Der tut hier, ganz entgegen dem Sprichwort, gut. Levit stürzt sich in das Werk und identifiziert sich rückhaltlos mit diesem. Ab dem Einleitungsakkord, den er mit vollem Körpereinsatz in den Steinway stemmt, als wolle er das Instrument ein paar Zentimeter verschieben, will er demonstrieren, dass ein wohltraktiertes Klavier einem Orchester ebenbürtig ist.
Manche Effekte, etwa die Dissonanzen, die er mit Lust an der Härte auskostet, kommen in der Reduktion sogar besser zur Geltung. Gleichzeitig lässt sich auch nicht überhören, dass das Werk selbst ein Anderes wird. Während die originale Instrumentierung licht ist, durchsichtig, bekommt die Konzentration der Stimmen auf zwei Hände etwas Monströses, Obsessives, Unentspanntes. Diese Eigenschaften sind dem Komponisten ja alles andere als fremd, und vollkommen zu Recht sucht Levit geradezu diese Überzeichnung: Er spielt alle Töne und noch mehr, bringt in den Tutti den Flügel zum Fauchen und Brüllen und treibt schnelle Passagen mechanisch bis an die Grenze der Spielbarkeit.
Mit List
Der Finalsatz versinkt in einem orgiastischen Taumel, die Freude kippt in Besinnungslosigkeit und eine latente Gewaltbereitschaft um, die im Stück angelegt ist, in herkömmlichen Aufführungen aber oft in der reinen Freude verharrt. Nach dieser denkwürdigen Interpretation brechen in der Isarphilharmonie wohlverdiente Bravostürme aus.
Mit der ihm eigenen Listigkeit hat Igor Levit die Schlusswirkung seines Rezitals vorbereitend gesteigert. Im ersten Teil spielt er nach einer pianistisch unorthodoxen Chromatischen Phantasie und Fuge d-moll von Johann Sebastian Bach die vier frühen Balladen von Johannes Brahms in einem intimsten doppelten Pianissimo und in bisweilen hypnotisch zeitlupenartigen Tempi, die er auch dann noch durchhält, als das Publikum schon hörbar unruhig wird.
Auch an schonungsloser Konsequenz kann man seine Freude haben. Wie Beethoven.