Igor Levit im Gasteig: Wenn sich das Maßnehmen wirklich lohnt
Mit gelbem Band vermisst die Bühnentechnikerin die Abstände zwischen den einzelnen Stühlen auf der Bühne der Philharmonie, der Soloflötist steht mit scharfem Blick daneben, einige Kollegen kommentieren aufgeregt. Corona-Alltag halt. Der Musikfreund fühlt sich natürlich an die "Hochzeit des Figaro" von Wolfgang Amadeus Mozart erinnert, wo der Titelheld zu Beginn ähnlich maßnimmt: "Fünfe... zehne... zwanzig". Dabei wird doch Ludwig van Beethoven gespielt!
Liegt es tatsächlich am Feinschliff der Aufstellung, dass sich zwischen Igor Levit und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks eine so spannungsvolle Balance herstellt? Edward Gardner gehört zu den Dirigenten, die ein einmal begonnenes Tempo halten können. Gerade für Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 ist diese Tugend alles andere als selbstverständlich. Statt hier, wie es häufig geschieht, bei jeder Empfindung nachzugeben, achtet Gardner, gleichsam als dirigierender Figaro, darauf, dass die Bewegungen ihr klassisches Regelmaß bewahren.
Vor diesem Hintergrund stabiler Ordnung kann sich vollkommen plastisch abzeichnen, wie unerhört Igor Levit am Flügel zaubert. Schon der berühmte stille Eingangs-Akkord, den Levit versetzt anschlägt wie ein Harfenist, darf erst erscheinen, nachdem mit den Fingern einige beschwörende Gesten über der Tastatur gemacht wurden. Einzelne Passagen lässt Levit im Pedal impressionistisch verschwimmen, andere werden miniaturisiert angeschlagen wie auf einem Kinderklavier - dies alles wohlgemerkt nie auf Kosten der Akkuratesse der Phrasierung.
Das angenehme Gefühl von Ordnung setzt sich in den "Enigma"-Variationen von Edward Gardners englischem Landsmann und Vornamensvetter Edward Elgar fort. Gardner, der in der kommenden Saison "Peter Grimes" im Nationaltheater einstudieren wird, gehört zu den Dirigenten, die den Takt so elegant wie korrekt schlagen. So sind die Musiker des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks zu jeder Zeit bestens informiert und können sich darauf konzentrieren, um den schönsten Klang und die sprechendste Phrasierung zu wetteifern. Hier soll nur betont werden, wie differenziert die Farbpalette der Streicher abschattiert ist, zwischen sensiblem Tasten und markigem Zupacken. Das Maßnehmen hat sich gelohnt.
Das Konzert kann man auf www.br-klassik.de nachhören.