Iggy Pop: Der Untergang steht noch bevor...
Er ist einer der ganz Wilden, so sieht es zumindest aus. Daran hat auch sein - für Rock'n'Roller - biblisches Alter nichts geändert. Auftritt Iggy Pop (72), Godfather of Punk, wie er von seinen Fans verherrlicht wird. Nackter Oberkörper eines schlanken, durchtrainierten Mannes, der freilich in die Jahre gekommen ist. Schulterlange blonde Haare rahmen das schmale Gesicht eines, na ja, 72-Jährigen.
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"Ich fühle mich wohl damit"
Warum macht er das? "Ich fühle mich wohl damit", sagt der US-amerikanische Sänger, Komponist, Texter und Schauspieler in einem Interview mit dem "Süddeutsche Zeitung Magazin". Das muss wohl so sein, denn anders kennt man ihn eigentlich überhaupt nicht, seit er 1968 im US-Bundesstaat Michigan die Band The Stooges gegründet hat.
"Auf unserem allerersten Gig trug ich ein wallendes Umstandskleid, Satinhosen und Golfschuhe mit Spikes", sagte er dem Magazin. "Im Gesicht war ich weiß angemalt, und auf dem Kopf hatte ich eine Art Afro-Perücke, für die ich Alufoliestreifen zusammengerollt und an einer Badekappe befestigt hatte. Beim zweiten Gig bin ich nur in Jeans raus, barfuß, mit weißer Schminke. Die habe ich nach ein paar Gigs weggelassen, ab da war ich barfuß und in Jeans. Eine Weile später dachte ich mir, dass ich wenigstens ein paar Stiefel anziehen sollte. Dabei ist es bis heute geblieben." Die Nacktheit habe ihn keine große Überwindung gekostet, "ich habe einfach gut ausgesehen."
"Okay, jetzt zeig' ich's euch!"
Irgendwann stand er irgendwo in der Provinz auf der Bühne, voll mit französischem Rotwein und Pillen, "das Mikro hat nicht funktioniert und ich war sauer. Die Leute haben mich angestarrt. Es war ein Dorf, außer ein paar Bauernhöfe gab es dort nur die Dienststelle der Staatspolizei. Ich habe gedacht: 'Okay, jetzt zeig' ich's euch!' Und dann bin ich durchgedreht. Ich habe mich nicht nur ausgezogen, sondern mich nackt über den Boden des Clubs geschlängelt und einen sehr befremdlichen Tanz aufgeführt. Die Leute haben mich beobachtet, wie sie einen Verkehrsunfall oder einen Mord beobachtet hätten." Die Nacht hat er dann im Gefängnis verbracht - doch seine Show blieb.
"Es ist mein Lebenswerk"
Ein weiteres unverwechselbares Markenzeichen von Iggy Pop ist seine exzessive Bühnenshow, in der einige Kritiker Selbsthass, Unsicherheit und Größenwahn zu erkennen glauben. Dazu sagt er: "Habe ich auch gelesen. Gerade erst wieder als ich in Melbourne aufgetreten bin. Der Typ ist doch krank, schrieb einer, er sollte seinen Ruhestand genießen, statt noch über die Bühne zu rennen. Aber, Junge, jetzt pass mal auf: 5000 Leute sind zu der Show gekommen. Die fanden es super. Es ist mein Lebenswerk, und ich bekomme viel Geld dafür, das ich nun verwenden kann, um alte Probleme zu lösen und mir neue Annehmlichkeiten zu verschaffen."
Andere wiederum, wie der Rock-Manager Kim Fowley, meinen, dass sich Iggy Pop mit seiner Show auf dem Altar des Rock'n'Roll geopfert habe. "Für die Siebziger war das sicher zutreffend. Ein guter Kommentar. Aber ich bin damals nicht zugrunde gegangen. Das steht noch bevor." Damals hatte er noch "gegen die Rebellen rebelliert. Ich wollte nicht nach Vietnam, aber ich wollte auch keine Fransenjacke tragen und beknackte Folksongs singen."
"Drogen pusten dein Ego aus"
Drogen haben bei der Karriere und Imagebildung des Iggy Pop eine große Rolle gespielt. "Man braucht Drogen, um die Spießigkeit der Existenz als weißer Amerikaner abzustreifen. Nur damit kam man aus diesem ganzen Regelwerk heraus. Kann ein weißer Junge Blues spielen? Klar, wenn er bekifft genug ist."
Das scheint beim "alten" Iggy nicht mehr ganz so wild zu sein. "Drogen pusten dein Ego aus. Alkohol in der Regel nicht, Alkohol bestätigt und verstärkt es. Wenn dein Ego deiner Kreativität im Weg steht, können Drogen helfen. Aber wenn du zu weit gehst, schwächst du dein Ego. So ging es vielen, die Drogen genommen haben, mir ebenfalls. Wenn ich heute nur einen einzigen Zug von einem Joint nehme, muss ich mich unter dem Sofa verstecken."
"Sorry, geänderte Wagenreihung"
Von seinen Drogen- und Alkoholexzessen hat er sich übrigens in Berlin erholt, als er dort mit seinem Freund und Förderer David Bowie (1947-2016) in einer WG lebte. Seither spricht er gut deutsch. Vergangenes Jahr hat er sogar mit dem ehemaligen Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg (34) in einem Werbespot für die Bahn mitgewirkt: Der Rennfahrer erreicht abgehetzt seinen ICE, der total überfüllt ist. Er kämpft sich durch den halben Zug zu seinem reservierten Platz vor. Dort sitzt - natürlich mit freiem Oberkörper - Iggy Pop und sagt grinsend im Bahn-Deutsch: "Sorry, geänderte Wagenreihung".
Nico Rosberg sagte nach den Dreharbeiten, Iggy sei keineswegs ein wilder, sondern ein sehr freundlicher und liebenswürdiger Typ. Im Gespräch mit dem "SZ-Magazin" offenbart er auch seine nachdenkliche, selbstzweiflerische Seite.
"Mein Vater war ein viel besserer Mensch als ich"
Auf seinem neuen Album "Free" trägt er Gedichte vor, unter anderem des walisischen Dichters Dylan Thomas. Da spricht der Sohn zu seinem sterbenden Vater: "Und du, mein Vater, dort auf trauriger Höhe, verfluche, segne mich mit deinen grimmigen Tränen." Iggy Pop sagt, wie schwierig diese Strophe für ihn war. "Mein Vater war ein viel besserer Mensch als ich, und ich fühlte mich nicht berechtigt, so etwas von ihm zu fordern..."
Als sein Vater, ein pensionierter Lehrer, 2007 starb, war Iggy bei ihm: "Er hielt meine Hand und sagte mir, wie leid es ihm tue, dass er mich nie umarmt habe. Das Netteste, was er sagte, war, dass ich meinen Traum wahrgemacht habe. Es war ganz anders als im Gedicht, ohne Zorn. So wie ich nun mal bin, hätte ich wahrscheinlich nicht mehr für ihn tun können... Aber wenn ich ein besserer, stabilerer Mensch wäre, wären seine letzten zehn Lebensjahre schöner gewesen."
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