"Ich werde neurotischer"
Zehn Jahre Karriere. „Zuviel Information“ heißt ihr sechstes Studioalbum, das diesmal deutlich mit Americana-Folk-Sounds abgeschmeckt ist. Beim Interview im Restaurant des Hotel Anna sitzt Annett Louisan ganz in Türnähe. Da kann man zwischen den Gesprächen mal eben eine Zigarette mit ihr rauchen. Überhaupt ist Annett Louisan eine sehr nahbare Künstlerin, die mit seltener Offenheit überrascht.
AZ: Frau Louisan, eineinhalb Jahre an einem Album zu arbeiten – das ist eine richtig lange Zeit.
ANNETT LOUISAN: Ich habe vor drei Jahren das letzte Album veröffentlicht. Diesmal habe ich es anders gemacht als bei den anderen Alben, bei denen ich sehr viel Zeit auf das Songwriting verwandt habe, und irgendwann bin ich mit meiner Band ins Studio und nach drei Wochen wieder raus. Zack. Für dieses Album habe ich mit vielen unterschiedlichen Musikern im Studio aufgenommen.
Man hört die Studioarbeit.
Da Freude ich mich sehr. Manchmal muss man einen langen Weg gehen, ganz viel ausprobieren, auch wenn das Resultat ein einziges Instrument ist, das am Ende stehen bleibt.
Sehr hübsch ist die Mandoline.
Wenn Sie mich fragten, was das Annett Louisan-Instrument ist, würde ich sagen, es ist die Mandoline. Es gibt Instrumente, die sind mit bestimmten Stimmen kombinierbar. Bei mir ist es nur für bestimmte Songs das Klavier. Es sind eher die Zupfinstrumente, weil sie meiner Stimme so viel Raum geben.
Gab es in der langen Aufnahmezeit einen Moment, wo es am Kippen war?
Ja. Randy Newman hat mal gesagt, er findet es sehr schwer, sein Niveau zu halten, und jedes Mal muss er doppelt so viel Zeit darauf verwenden, um ähnliche Qualität abzuliefern, wie beim letzten Mal. Das ist so wahr.
Wie bleibt man in zehn Jahren Karriere nach so einem Anfangshype auf dem Pferd?
Indem man immer wieder raufsteigt. Man wird ab und zu mal von einem dickköpfigen Gaul abgeworfen, aber man darf sich nicht aus der Ruhe bringen lassen und man darf keine Angst haben, dass der Erfolg verschwindet. Ich habe über das Live-Spielen versucht, eine wahrhaftige Popularität aufzubauen. Eigentlich hatte ich nur einen wirklich großen Hit: „Das Spiel“. Allerdings habe ich das große Glück, ein Publikum zu haben, welches sich für meine mittlerweile sechs Alben interessiert. Das ist ein großes Privileg in dieser heutigen, schnelllebigen Zeit.
Werden Hits überschätzt?
Das ist auch ein Fluch. Aber ich will nichts gegen Hits sagen. Es gibt Lieder, die so viele Menschen gleichzeitig berühren – das ist eine gewisse Kraft. Es ist nur schade, weil es so viele zweitplatzierte Lieder gibt, die großartig sind. Mir fällt in Deutschland auf, dass es nicht nur einen Qualitätsanspruch gibt. Es gibt auch einen Quantitätsanspruch, den ich manchmal auf die Musik bezogen lustig finde. Wenn du laut singst und spielst drei Stunden, dann ist das mehr wert.
In Ihrem ersten Song singen Sie über Stars. Bei jedem Interview mit einem Star sucht man diese bestimmte Aura.
Das ist eine romantische Vorstellung. Es gibt Menschen, die gehen auf die Bühne und wachsen über sich hinaus. Und dann siehst du sie hinter der Bühne, und sie wirken ganz anders. Ich habe in den letzten zehn Jahren viele interessante Menschen kennen gelernt und mich oft gefragt, ob ich wirklich aus diesem Holz geschnitzt bin. Wenn du wirklich dieses ganz große Star-Dasein willst, dann brauchst du Scheuklappen, darfst Dinge nicht so persönlich nehmen. Ich weiß, dass ich gerne Musik mache und es liebe, auf der Bühne zu stehen. Aber ständig im Mittelpunkt zu stehen, ist gefährlich für den Charakter.
Und dann kommt die Einsamkeit im Hotel...
Hotels können ganz ganz dunkel sein. Besonders, wenn man Adrenalin in seinem Körper hat und nicht weißt, wohin damit. Manche machen es mit Yoga und Meditation, manche mit Alkohol. Aber es sind auch die sozialen Kontakte, die einen dann retten können.
Einer Ihrer Song denkt über die Zeit nach. Schon mal gedacht: Wo sind die Jahre hin?
Ich werde immer neurotischer. Wahrscheinlich, weil ich früher nicht über Endlichkeit nachgedacht habe. Sie war unvorstellbar, man hat sie noch nicht gespürt. Aber sie kommt immer mehr. Schubweise. Ich bin jetzt 36 und ein paar mal wieder an den gleichen Punkt gelangt. Das ist natürlich irgendwie desillusionierend im ersten Moment und man fragt sich: Hast du es denn jetzt durchschaut? Nein, natürlich nicht.
Annett Louisan: „Zuviel Information“ (Sony). Live am 11. April 2014, 20 Uhr, in der Philharmonie. Die AZ verschenkt 10 mal 2 Karten: Mittwoch, 12. Februar 2014, ab 8.30 Uhr, AZ-Schalter, Rundfunkplatz 4