Hervé Niquet dirigiert "Le tribut de Zamora"

Zu den Dirigenten mit virtuoser Schlagtechnik zählt der Franzose kaum. Hervé Niquet sieht aus wie der Tanzmeister von Ludwig XVI., dem leider die Perücke anhanden gekommen ist. Das leicht verfremdete Rokoko-Jackett betont seine schlanke Figur, während er vor den Musikern rudert und fuchtelt, als sei er Rudolf Nurejew und E.T.A. Hoffmanns dämonischer Kapellmeister Kreisler zugleich.
Ein Animateur von hohen Graden ist Niquet aber zweifellos. Die Bläser des Münchner Rundfunkorchesters klingen zwar nicht unbedingt französisch, doch die Streicher spielen schlank und klar. Ein Hauch von Historisierung liegt über der konzertanten Aufführung von „Le tribut de Zamora“.
Krieg und Wahnsinn
Diese ziemlich konservative Spät-Grand-Opéra von Charles Gounod aus dem Jahr 1881 handelt von einer Entführung aus dem Serail im Spanien des 9. Jahrhunderts, bei der zuletzt Bassa Selim von Konstanzes wahnsinniger Mutter umgebracht wird.
Leider drängt sich dauernd die Dekoration aus Haremstänzen in den Vordergrund. Ein Sarazenenchor droht martialisch, auf der Rückkehr nach Damaskus auch kurz im grünen Deutschland vorbeischauen zu wollen. Die spanische Hymne wäre ein Ohrwurm, wenn sich Gounod getraut hätte, die Melodie wie in einer italienischen Risorgimento-Oper krachend auszukomponieren. Hat er aber nicht.
Im Unterschied zum 2015 am gleichen Ort wiederbelebten und an der Leipziger Oper nachgespielten Mantel-und-Degen-Schinken „Cinq-Mars“ ist „Le tribut de Zamora“ unter keinen Umständen für die gegenwärtige Bühne zu retten. Die beiden Sopranistinnen Jennifer Holloway und Judith van Wanroij, der Tenor Edgaras Montvidas und der Bariton Tassis Christoyannis haben gediegen komponierte Duette zu singen, die von Niquet auf mäßigem dramatischen Feuer gehalten werden: französisch elegant, ohne italienische Grobheit.
Vor der spanischen Revolution
Und dann schaut man in eine Operngeschichte und stellt fest, wie der Ohrenschein trügen kann: „Le tribut de Zamora“ entstand nicht etwa vor „Carmen“, sondern sechs Jahre danach. Warum konnte sich dieses Werk nach der Revolutionierung alles Spanischen und Sexuellen durch Georges Bizet überhaupt zwei Spielzeiten an der Pariser Opéra halten? Wohl wegen der Haremsdamenbeine.
Aber genau das ist es, was die Arbeit der Stiftung Palazzetto Bru Zane in Venedig so aufregend macht, die hier zum vierten Mal mit dem BR-Chor und dem Rundfunkorchester zusammenarbeitet. „Le tribut de Zamora“ ist kein Meisterwerk, aber interessant genug für geschichtsbewusst neugierige Opernbesucher. So etwas zu Gehör zu bringen, scheint sinnvoller, als in einer Stadt mit zwei Opernhäusern noch einen Verdi ohne Inszenierung spielen zu wollen. Und was das Format angeht, scheint das Rundfunkorchester lernfähig: Das umständliche Auftrittszeremoniell konzertanter Aufführungen war diesmal angenehm verdichtet.
Eine Aufnahme der Oper erscheint demnächst als CD auf dem Label des Palazzetto Bru Zane. Am 29. April führt das Rundfunkorchester konzertant Kálmáns „Gräfin Mariza“ auf. Karten unter Telefon 5900 494