Herbert Pixner: Da röhrt nicht der Hirsch, sondern die E-Gitarre

Die Alpen noch im Blick, aber schon ein E-Gitarren-Riff weiter: Das Herbert Pixner Projekt ist auf „Electrifying Tour“ und hat die neue CD „Lost Elysion“ dabei. Ein Treffen mit dem musikalischen Erneuerer
Adrian Prechtel |
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Mit einem Hauch von Dandy und Hipster: Herbert Pixner mit seiner Schwester Heidi (Harfe), dem Gitarristen Manuel Randi (rechts) und dem Bassisten Herbert Unterlechner.
Three Saints Records Mit einem Hauch von Dandy und Hipster: Herbert Pixner mit seiner Schwester Heidi (Harfe), dem Gitarristen Manuel Randi (rechts) und dem Bassisten Herbert Unterlechner.

Die Alpen noch im Blick, aber schon ein E-Gitarren-Riff weiter: Das Herbert Pixner Projekt ist auf „Electrifying Tour“ und hat die neue CD „Lost Elysion“ dabei. Ein Treffen mit dem musikalischen Erneuerer

Seine Alpen-Weltmusik spielt mit gipfelhoher Musikalität auch gegen Folklorekitsch an. Von „Blues’n auf!“ bis „bauern_tschäss“ von „Quattro“ bis zum letzten „Summer“ (2016). Schaut man auf die Veröffentlichungen seit „Frisch gepresst“ (2002) zurück, lässt sich eine Linie erkennen: Herbert Pixner (42) gewinnt mit seinem „Herbert Pixner Projekt“ auch musikalisch Abstand zur Bergbauern-Heimat des Passeiertals in Südtirol.

Innsbruck statt Passeiertal

Er lebt mit Frau und Kindern in Innsbruck und rockt auf seiner – schon vom Titel „Electrifying 2018“ – aggressiveren Tour alles bis hoch hinauf nach Hamburg, Bremen und Berlin. „Lost Elysion“ heißt das aktuelle Album. Das klingt erst einmal nach Heimatverlust, Melancholie. Es ist aber auch anders gemeint, wie Herbert Pixner nach dem Münchner Brunnenhof-Konzert, an einem der wenigen kalten Sommerabende in diesem Jahr, erzählt: „Ich habe den Schritt von den Bergen in die Stadt umgekehrt erfahren: Meine Familie gibt mir ein Zuhause, Rückhalt, ich fühle mich privat angekommen.“

Die Freiheit der Berge? Ja, aber das ist auch starke Verklärung

Aber vor „Elysion“ hat Pixner ja das „Lost“– also „verloren“ gesetzt. „Natürlich“, sagt Pixner und hat sich auf einen der jetzt leeren Zuschauerstühle im Innenhof der Residenz gesetzt: „Mit Kindern hat man ein größeres Verantwortungsgefühl. Vor 15 Jahren war ich als Single unterwegs, lässig, nur für mich verantwortlich. Heute kämpfe ich für eine halbwegs intakte Welt für sie.“ Und tappt er so dann doch in die alpenländische Nostalgiefalle? „Nein“, sagt er gewohnt ruhig: „Ich bin kein Pessimist, nicht mal Nostalgiker, aber ich denke: Wir hätten einen paradiesischen Zustand, wenn wir empathisch miteinander umgingen. Und wenn man sich die Welt in den Medien und Sozialen Netzwerken anschaut, sind wir natürlich weit vom Paradies entfernt.“ Und damit ist man mitten drin im Thema der neuen CD.

Politik ist nicht seine Sache, aber dann geht es doch um Flucht und Vertreibung

Denn wenn Musik Inhalte transportieren kann, so ist dieses neue Werk zumindest auch politisch. In der Mitte der CD steht der Titel „Alps“. Und hier haut nach einem sanften Akkordeon-Vorspiel die E-Gitarre von Manuel Randi schrill rein – ein bisschen im Carlos-Santana-Stil, als ob die Alpen im Störfeuer wären. „Ich bin in den Alpen aufgewachsen und sie behalten für mich etwas Heiliges. Das Hochgebirge hat Ruhe, Archaik, Bedrohliches, ist unkontrollierbar. Ich habe das erlebt, weil ich dort Sommer lang gearbeitet habe. Der Tourismus versucht, all diese Gebiete in erschlossene gestörte Pseudoparadiese zu verwandeln.“

Wettersturz oder trockene Kleidung und das Jammern auf hohem Konfortniveau

Aber Pixner verklärt das Hochgebirge nie: „Natürlich gibt es Momente, in denen ich mich wieder nach der Freiheit da oben sehne, die übrigens gar keine ist: Man ist bedroht vom Wetter, da kann es beim Viehtreiben plötzlich bei einem Wettersturz auch schneien. Da liebt man dann wieder trockene Kleider, Heizung und selbst der Stau auf der Salzburger Autobahn nach München ist dann Jammern auf hohem Komfort-Niveau.“

Was ist dann der Alpenklang? „Da höre ich eben kein kitschiges Harfensolo, sondern auch Kühle, Härte, Bedrohung, 3000 Meter hohe Kalkwände. Da passt auch die E-Gitarre und nicht der Heimatabend im Stil von ,Auf der Alm, da gibts koa Sünd’.“ Womit wieder das Anspielen gegen das Volkstümliche im Spiel ist. Im Booklet steht zum dritten Titel „Toccata“ etwas von „Flucht und Vertreibung“ und sie beginnt mit dem berühmten Orgelstück: „Ja, die ,Toccata’ von Bach kann das repräsentieren: Sie hat dieses Ungewisse. Der Anfangs-Riff ist wie ein Aufbruchssignal. Dann führt alles in Ungewisse, löst sich musikalisch immer weiter auf, bleibt unheimlich, gewaltig, fast gewalttätig. Flucht ist die Suche nach dem Paradies, die oft in der Hölle endet. Und heute flüchten wir, um Ruhe zu finden oder in den Alkohol oder ins Netz.“

Bachs „Toccata“ gegen ein Geburtstagsgeschenk

Und dann wird Pixner – gegen sein Naturell – doch politisch: „Wir tun so, als ob Flucht nur etwas ist, was bedrohlich auf uns zukommt. Dabei flüchten wir alle vor irgendwas, nicht nur wie unsere eigenen Vorfahren, die ja nicht alle immer schon am selben Ort waren. Es gab schon immer Naturkatastrophen, Verfolgung oder woanders bessere Lebensbedingungen.“ „Lost Elysium“ wechselt zwischen elegisch und hart und versöhnt den Zuhörer dann wieder – wie mit „Anna“, einer tänzerischen, sommer-impressionistischen, fröhlichen Weise, in der vor allem Pixners Steirische Ziach und die Harfe seiner Schwester den Ton angeben: „Ein Geburtstagsgeschenk an meine Tochter zum sechsten. Kinder versöhnen einen ja wieder mit der Welt. Und als Musiker hat man sowieso das Privileg, dem Elysium oft nahe zu kommen, wenn man seine Musik spielt, auftritt, sich ein Stück freier entwickeln lässt, mit dem Publikum eins wird.“

E-Gitarre: Das ist eine weites Feld

Die gegenwärtige Tour heißt „Electrifying“ und auf „Lost Elysion“ ist die E-Gitarre als durchgehendes Element dabei. Warum? „Wenn man einen derart guten Gitarristen wie Manuel Randi mit sich hat, bietet sich das an“, besteht Pixner: „Die E-Gitarre bespielt ein weites Feld: von aggressiv bis zart. Natürlich ist sie auch ein Kontrastmittel zu unseren traditionellen Instrumenten. Aber ich bin nun mal ein Kind der 70er Jahre und liebe E-Gitarren. Aber wir machen ja keine Rockmusik, wir setzen auch kein Schlagzeug ein.“ Pixners Publikum wird größer, dadurch auch die Säle. Und man fragt sich, ob ein Berliner Publikum das Gleiche hört und erwartet wie ein Bozener? „Wir erzählen Geschichten in musikalischen Bildern. Da ist das kein Unterschied, das würde auch in Tokyo oder New York funktionieren“, beharrt Pixner. Das wiederum klingt seltsam, wenn einer spricht, der CDs mit Titel wie „Volksmusik!“ im Spanschachterl oder „Alpenglühen“ (mit dem Münchner Saxophonisten Max Geller) herausbringt. Muss man wirklich nicht die Alpen im Kopf haben, um das alles zu verstehen?

Ois is Blues!

„Nein. Jeder hat ja schon einmal Berge erlebt, und es gibt auch die Pyrenäen und den Ural. Es geht ja nicht ums Tiroler Leben, sondern um Naturphänomene – im Gebirge“, was den Bogen eben bis in die Rocky Mountains spannt, wo Herbert Pixner in Vail / Colorado auch schon einmal Barmusiker war.

Ob das der Grund ist, warum jede Platte von ihm auch einen Blues hat? „Blues und Landler sind verwandt. Es sind Arbeitslieder, auch schmutzig. Ich bin da seelenverwandt.“ „American Polka“ heißt das neunte Stück auf „Lost Elysion“: „Ja, diese Polka ist zwar alpenländisch, aber sobald die E-Gitarre reinspielt, klingt es gleich nach Country, nach Blue Grass und wird so eine ,American’ Polka“ – ohne dabei gleich einen musikalisch lustigen Anti-Trump-Bezug zu haben.

So ist „Lost Elysium“ nicht nur elegisch oder rockig, e-gitarrig. Auch ein „Euphonium“ sorgt für Weichheit: „Es ist irgendwo zwischen Tuba und Posaune. Ich hatte es im Keller, weil ich es mal auf Ebay ersteigert habe“, sagt Pixner, nimmt seine Steirische und verabschiedet sich zum Tour-Transporter, den seine Cousine in den Renaissancehof vorgefahren hat. 

CD: „Lost Elysion“ (Three Saints Records). Das Herbert Pixner Projekt, live: Mi, 17. Oktober, 20 Uhr, Circus Krone und Mi, 1. Mai 2019, 19 Uhr, Philharmonie im Gasteig, Karten: Tel:  54 81 81 81, www.muenchen-ticket.de

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