Hansjörg Albrecht dirigiert die Messe in h-moll

Die Messe in h-moll mit dem Münchener Bach-Chor unter Hansjörg Albrecht im Herkulessaal
von  Robert Braunmüller
Der Münchener Bach-Chor.
Der Münchener Bach-Chor. © Foto: Thomas Dashuber

Man könnte auch wie Sisyphos einen Felsbrocken den Berg hinaufrollen. Eine Aufführung von Bachs Messe in h-moll ist nur wenig ersprießlicher, wenn ein gut trainierter Laienchor gegen hoch spezialisierte Vertreter der Alte-Musik-Szene ansingt, deren Aufnahmen der Kenner zu Hause im Schrank und in seinem Ohr hat. Und weil es – anders als bei den Passionen und dem Weihnachtsoratorium – keine saisonale Gestimmtheit gibt, rennen einem die Leute bei einer Aufführung auch nicht eben die Bude ein.

Hansjörg Albrecht beschritt im Herkulessaal mit dem Münchener Bach-Chor einen stilistischen Mittelweg. Der ist bekanntlich besonders steinig. Wer den großen Zeiten unter Karl Richter nachtrauert, vermisst die weltumarmende Opulenz, und wer historisierende Aufführungen mit 20 oder noch weniger Sängern vorzieht, dürfte Albrechts Ansatz arg kompromissbehaftet finden, auch wenn der Kenner natürlich weiß, dass sich solche Messen vom Tonträger kaum in den Konzertsaal versetzen lassen.

Vieles überzeugte trotzdem. Etwa das nach der Pause dazwischengeschaltete Orgelstück „Apparition de l’Église éternelle“ von Olivier Messiaen (Solo: Johanna Soller). Natürlich ist das mit seiner Riesensteigerung und anschließenden Abschwächung ein Remake von Debussys „La Cathédrale engloutie“. Es zeigt aber, dass man auch im 20. Jahrhundert so avanciert und gläubig komponieren konnte wie zur Zeit von Johann Sebastian Bach.

Gute und weniger gute Kompromisse

Christian Immlers Bassbariton passte sowohl für die „Quoniam“-Arie wie für „Et in sprititum sanctum“. Da der exzellente Hornist auch die dritte Trompete spielte, gingen am Anfang von „Cum sancto spiritu“ ein paar Achtel verloren. Der Flötist überwältigte im „Domine Deus“ und im „Benedictus“ geradezu mit seinem großen Ton. Auch die übrigen Instrumenalsolisten gaben ihr Bestes.

Aber was bringt ein Countertenor bei Bach? Der beschäftigte Knaben. Der wacker singende David Alsopp wurde im Kyrie-Duett völlig von der Sopranistin (Hanna Zumsande) dominiert, das Agnus Dei versachlichte er so sehr, dass man sich dringend eine Altistin wünschte. Die Logik dieser Besetzung vermittelte sich jedenfalls nicht.

Das Münchener Bach-Orchester spielte auf modernen Instrumenten mit zurückhaltendem Streicher-Vibrato. Der Lautenist sorgte für die üblichen fetzigen Nebengeräusche und unterstützte den vorwärtsdrängenden, eher tänzerischen Ansatz des Dirigenten. Fraglos ein guter Kompromiss.

Warten auf Godot

Schwieriger war das schneidende, mit dem übrigen Orchesterklang unverbundene Trompetengeschmetter, das bisweilen mehr bedrohlich als festlich wirkte. Dass die meisten Dirigenten über Bachs gelegentliche Wünsche nach Gegensätzen zwischen piano und forte hinwegspielen lassen, daran hat man sich zwar gewöhnt, aber etwas mehr dynamischer Reichtum als ein Dauer-Mezzoforte würde solche Aufführungen bereichern.

Albrecht bemühte sich allerdings hingebungsvoll um die nicht einfache Balance zwischen dem mittelgroßen Orchester und dem 100-köpfigen Bach-Chor. Der sang sehr klar und transparent, in einigen exponierten Passagen aber nicht völlig homogen.

Die Aufführung wirkte in ihrem Streben nach Durchhörbarkeit allerdings auf Dauer neutral, weil nie jemand aus sich herauszugehen wagte. Die verhaltenen Steigerungen im „Sanctus“ wirkten als Vorbereitung auf etwas Kommendes, das sich dann aber im achtstimmigen „Osanna“ nicht wirklich einstellte.

Es war ein bisschen wie „Warten auf Godot“. Auch das „Dona nobis pacem“ wurde sehr höflich erbeten, als sei der Frieden ein Verwaltungsakt. Mindestens hier dürfte man mehr Emotion wagen, ohne gleich in alte Rituale der Romantisierung zu verfallen. Diese Messe bleibt eine Herausforderung, mit der man niemals fertig wird – weder als Interpret noch als Hörer. 

Der Bach-Chor singt am 5. Juni im Gasteig Mozarts Messe in c-moll. Karten bei Münchenticket und unter 545 44 55

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