Kritik

Gergiev in der Isarphilharmonie: Polierter Hochglanz hat keinen Platz

Daniil Trifonov, Valery Gergiev und das Mariinsky Orchester St. Petersburg in der Isarphilharmonie.
von  Michael Bastian Weiß
In der Isarphilharmonie hört man das Zischen, mit dem Dirigent Valery Gergiev gerne seine Einsätze begleitet, so direkt, als ob es neben dem eigenen Ohr stattfinden würde.
In der Isarphilharmonie hört man das Zischen, mit dem Dirigent Valery Gergiev gerne seine Einsätze begleitet, so direkt, als ob es neben dem eigenen Ohr stattfinden würde. © Florian Emanuel Schwarz

München - Wenn man nicht gerade eine Stunde zu früh dran ist, nähert man sich der Isarphilharmonie auf engen Straßen im Pulk mit vielen Herrschaften, die ebenfalls ins Konzert streben. Weil das zu Verzögerungen führen kann, sind die Mannschaftswagen der Polizei, die am Rande des Geländes parken, früh zu erblicken.

Isarphilharmonie: Amnesty International verteilt Flugblätter

Nanu? Kaum erst eröffnet, und schon die Staatsgewalt im Haus? Nein. Es ist Valery Gergiev, sein Petersburger Orchester und der Pianist Daniil Trifonov, die Aktivisten motiviert haben, für die Menschenrechte in Russland zu protestieren. Amnesty International verteilt Flugblätter. Angesichts des Gedränges auf dem Platz ist es auch sinnvoll, dass die Polizei für Ordnung sorgt.

Isarphilharmonie: Musiker scheinen in der Saalmitte so greifbar wie im Hintergrund

Auch der Saal der Isarphilharmonie ist in den Konzerten des Mariinsky Orchesters bis zum Rande mit Publikum gefüllt. Deswegen kann man die akustischen Gegebenheiten unter ähnlichen Bedingungen von verschiedenen Plätzen aus vergleichen. In drei Konzerten saß der Rezensent einmal in der siebten, einmal in der 16. und einmal in der 25. Reihe. Die klanglichen Unterschiede zwischen diesen Positionen sind, im Vergleich zum Gasteig, wo man ganz oben kaum noch etwas hörte, eher klein. Die starke Präsenz der Musiker ändert sich nicht wesentlich, sie scheinen in der Mitte des Saales so greifbar wie im Hintergrund. Kleine Modifikationen aber gibt es dann doch: Weit vorne kann man eher noch einen Hauch von Nachhall erhaschen.

Wie der Solist das Orchester wahrnimmt, ist noch einmal eine andere Sache. Man kann es Daniil Trifonov nicht verdenken, dass er nicht, wie andere Pianisten, den Austausch mit dem Orchester sucht, sondern sich erst einmal auf den Klang des Steinway konzentriert, von dem er kaum einmal aufschaut.

Erst nachdem er einen ganzen Zyklus der fünf Klavierkonzerte von Ludwig von Beethoven absolviert hat, gegen Ende der Nr. 5 Es-Dur, wagt er eine Bewegung hin zu den anderen Musikern, begleitet von einem seltenen Lächeln.

Daniil Trifonov: Seine Lockerheit wirkt bemüht

Sympathisch ist, dass selbst ein Tausendsassa wie Trifonov nicht mit allen Werken gleich viel anfangen kann. Das Klavierkonzert Nr. 2, eigentlich das am frühesten komponierte, fordert seine stupende Technik nicht heraus. So hält sich der 30-Jährige mit einer auf Dauer etwas bemüht wirkenden Lockerheit bei Laune, einem Willen zur Spontaneität, die bei ihm eher sprunghaft und fahrig wird.

Valery Gergievs Geigen jaulen stellenweise auf wie elektrisch verzerrt

Vielschichtiger ist seine Rolle im Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur. Dort sucht Trifonov den Konflikt mit dem Orchester, das er etwa mit gebieterischen, hart gefügten Akkorden unterbricht und überhaupt wiederholt zum gegenseitigen Kräftemessen provoziert.

Diesen Fehdehandschuh nimmt Valery Gergiev am Pult des Mariinsky Orchesters auf und steigert sich mit seinem Solisten in eine manchmal vor Reibungshitze bitzelnde Hochspannung hinein. Da klingen die Streicher nicht nur, wie immer bei Gergiev, würzig erdig, sondern jaulen stellenweise sogar auf wie elektrisch verzerrt. Polierter Hochglanz, wie man ihn von vielen Orchestern gewohnt ist, hat ebenfalls keinen Platz, wenn das St. Petersburger Orchester Musik von Igor Strawinsky spielt, die ihm gehört wie der Strauß-Walzer den Wiener Philharmonikern.

Im vollständigen Ballett "Der Feuervogel" singen die Holzbläser ihre Kantilenen im zärtlichsten Pianissimo aus, in "Le sacre du printemps" brüllen die Tuben wie Ochsen in der Brunst - endlich kann man einmal erahnen, wie dieses Stück einst einen Skandal auslösen konnte.

Und noch ein Schmankerl hält die neue Philharmonie an der Isar bereit: Man hört das Zischen, mit dem Valery Gergiev gerne seine Einsätze begleitet, so direkt, als ob es neben dem eigenen Ohr stattfinden würde.

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