Georg Ringsgwandl im AZ-Interview: Die Wuidn sind noch unterwegs

Georg Ringsgwandl wird 70: Am Mittwoch, einen Tag vor seinem Geburtstag, tritt er in der Muffathalle auf. Das neue Album "Andacht und Radau" folgt im Januar. Ein Gespräch mit dem Songschreiber und Theaterautor über seine neuen Projekte und sein bewegtes musikalisches Leben.
AZ: Herr Ringsgwandl, Ihre Tour heißt "Wuide unterwegs". Sind Sie mit 70 noch wild?
GEORG RINGSGWANDL: Nicht mehr wie der 30-Jährige. Es steht dem 70-Jährigen natürlich zu, dezente Musik zu machen, Rock-Stubenmusik wie auf meiner letzten Platte. Aber ich dachte mir, wir könnten es einmal richtig krachen lassen, mit dem Druck, den das Rockinstrumentarium so bietet. Es könnte ja das letzte Jahr sein, in dem ich sowas noch hinkriege.
"Münchner Profimusiker haben sich geweigert, mit mir aufzutreten"
Sie kündigen an "Die alten Granaten werden endlich so gespielt, wie sie es vor 20, 30 Jahren schon verdient hätten". Wieso hat das damals nicht geklappt?
Weil ich damals ein kompletter Musikamateur war. Ich hatte eine Reihe von Klasse-Songs, aber keine Ahnung, wie man sowas spielt. Die Münchner Profimusiker haben sich geweigert, mit mir aufzutreten. Wir haben die Songs am Anfang zu dritt – ein paar verzweifelte Figuren – mit viel Energie auf die Bühne geworfen. Es war wild, ungehobelt, aber mit einer Wahnsinnsbegeisterung, unglaublichem Druck und Irrsinn. Wenn man die Aufnahmen heute hört, denkt man: Du lieber Gott, dass da die Leute im Saal geblieben sind! In den letzten 30 Jahren haben sich das handwerkliche Niveau und die Erwartungen des Publikums komplett verändert. Inzwischen weiß ich, wie man spielen muss, dass man’s anhören kann.
War das Leben für besagte Profimusiker damals so viel leichter, dass sie sich erlauben konnten, Ihnen abzusagen?
Ja, für Profimusiker war das damals die große Zeit. Sie sind von Studio zu Studio gezogen und haben richtig gut verdient. Inzwischen gibt’s die Studios nicht mehr, und die Typen müssen alles machen, was daher kommt. Heute kann jeder wild gewordene Liedermacher, der seine ersten drei Songs geschrieben hat, mit den besten Musikern auftreten. Denn sie müssen froh sein, wenn sie einen Job haben.
Wann hatten Sie die ersten guten Musiker?
Die Musiker, mit denen ich am Anfang gespielt habe, waren echte Wildwuchsgewächse, aber emotional und vom Ausdruck her klasse Typen. Den ersten Klassemusiker habe ich 1993 kennengelernt: Nick Woodland. Mit ihm bin ich 20 Jahre getourt. Inzwischen spiele ich mit ausgesprochenen Cracks. Aber es sind auch wunderbare Musiker, die sich genauso menschlich verstehen.
"Tonstudios haben eine tödliche Atmosphäre"
Haben Sie das neue Album wieder live aufgenommen?
Ja, aber nicht im Wohnzimmer wie bei der letzten Platte. Wenn man eine laute Metal-Rock-Nummer dreißig Mal hintereinander spielt, werden die Nachbarn mürbe. Das kann man nur ein Stück weit entfernt von der menschlichen Zivilisation machen. Wir haben in einer alten Schule aufgenommen, die in einen Musikclub umgebaut wurde.
Warum nicht im Tonstudio?
Tonstudios haben eine tödliche Atmosphäre. Sie haben etwas von Amtsstuben. Das Aufnahme-Equipment kann man heutzutage in einem Kombi irgendwo hinfahren und in zwei Stunden aufbauen.
Sie singen auf dem Album "Alles supergünstig, doch ein bisschen fad, mehr gibt’s nicht für das digitale Proletariat". Sind Sie froh, in einer anderen Zeit jung gewesen?
Ja, aber nicht deshalb, weil wir uns damals nicht mit digitalem Zeug rumschlagen mussten. Sondern weil wir in einer reicheren, weniger betriebswirtschaftlich durchstrukturierten Welt gelebt haben. Heute ist alles in extremem Maß reguliert, geplant und durchkalkuliert. Die Welt war vor einigen Jahrzehnten bunter und schöner. Aber das Digitale ist ein wahnsinniger Fortschritt, ich gehöre gern zum digitalen Proletariat. Ich skype einmal im Monat mit meinem Neffen, der in der Forschungsabteilung von Google in Seattle arbeitet. Er ist einer der internationalen Topinformatiker und braucht immer eine halbe Stunde, um mir zu erklären, was sie gerade machen. Aber er selbst und seine Kollegen rühren das digitale Zeug nur an, wenn sie arbeiten müssen. Am Freitagmittag gehen sie ohne digitale Geräte in die Berge.
Ein anderer Song, die "Thaller Hymne", handelt davon, wie eine unbekannte Frau in einer Raststätte an der A 9 Ihren Schlagzeuger anmacht und, nun ja, betatscht.
Das ist eine wahre Geschichte. Es war zehn Uhr morgens, keiner von uns konnte das glauben. Die Frau hat ihren Mann weggeschickt und den Schlagzeuger in eine Ecke gezogen. Ich dachte mir, der bleibt dort und wir müssen ohne Schlagzeuger weiter touren.
Solche Frauen trifft man selten.
Ja, sonst könnte man keine Band aufrechterhalten.
Beat-Musik hat Ringsgwandl geprägt
Welche Musik hat Sie als Jugendlicher begeistert?
Ich habe zuerst Volksmusik auf der Zither gelernt. Dann hat uns ein Lehrer für den Jazz begeistert und ich habe Posaune in einer Dixie-Band gespielt. Kurze Zeit später sind die Beatles gekommen, die Beat-Welle ist explodiert und alles andere war damit obsolet. Da brauchte man keine Zither oder Posaune mehr anrühren. Die gesamte Jugend der Welt hat Beat-Musik gehört. Das hat meine Generation geprägt. Manche sind da hängen geblieben, aber ich finde, auch danach sind noch sehr schöne Sachen gekommen: Soul, Funk, Industrial.
1972 haben Sie in Kalifornien gelebt. Wie war’s?
Da hat jeder Student in den Wohngemeinschaften der Bay Area von San Francisco eine Gitarre in der Hand gehabt und vor sich hin gewimmert. Alle haben davon geträumt, dass sie wie Crosby, Stills, Nash & Young in einer Landkommune leben und in einer Scheune Platten machen, dass die Plattenfirmen kommen und das Geld zur Tür reinschütten.
Ihre eigene Musik war aber viel weniger sonnig-optimistisch. Aus Jimi Hendrix’ "The Wind Cries Mary" wurde in Ihrer Version "Der Wind schreit Scheiße". Wieso waren Ihre Songs schon immer so bissig?
Ich bin mit 18 wegen TBC im Sanatorium gelegen und habe dort Songs geschrieben. Die hatten natürlich einen etwas derben Zug. Es prägt, wenn man nicht weiß, ob man da wieder raus kommt und wie.
Sie sind dann Arzt geworden, haben lange als Kardiologe gearbeitet. Zugleich sind Sie aufgetreten und haben Platten aufgenommen. Wie war das?
Ich war Oberarzt und verantwortlich auf der Intensivstation. Die Klinik wusste, dass ich diese verrückte Musik mache. Die Kollegen haben deshalb ein besonders scharfes Auge darauf gelegt, was ich mache. Ich habe geschaut, dass ich die anderen vor mir hertreibe, und zur Überperformance geneigt. Die Kollegen haben darunter gelitten, weil ich um acht Uhr morgens schon derartig auf Adrenalin war. Irgendwann ist es nicht mehr gegangen.
Wussten auch die Patienten von Ihrem zweiten Leben?
Manche. Die meisten Leute im Krankenhaus sind alt und krank und haben andere Sorgen. Aber es kam ein paar Mal vor, dass Leute ganz freundlich gesagt haben: Sie möchten nicht von einem Doktor behandelt werden, der in seiner Freizeit so verrücktes Zeug macht.
1993 haben Sie als Arzt aufgehört, um sich ganz der Kunst zu widmen. Haben Sie Ihren früheren Beruf vermisst?
Ja, schon. Aber ich habe das zwanzig Jahre lang intensiv gemacht. Und ich konnte machen, worauf ich mich gefreut habe: Theaterstücke, Platten. Da war kein großer Seelenschmerz. In 25 Jahren habe ich es vielleicht an fünf Tagen bereut, aufgehört zu haben.