Geigerin Julia Fischer: Lieber Stuttgart als Shanghai

Es ist das wahrscheinlich jüngste Orchester weit und breit: Die Kindersinfoniker werden am Dienstag im Gasteig ein Programm mit Werken von Camille Saint-Saëns spielen. Gegründet wurden sie von der Geigerin Julia Fischer und ein paar Gleichgesinnten.
AZ: Frau Fischer, wie kamen Sie auf die Idee, ein Orchester für Kinder ins Leben zu rufen?
JULIA FISCHER: Es gibt viele Kinder im Alter zwischen ungefähr sechs und fünfzehn Jahren, die zuhause vor sich hin üben, aber kaum Gelegenheit haben, mit Anderen zu spielen. Der Sinn des Musizierens aber ist das gemeinsame Spiel. Ich meine damit auch die Ebene der Amateure, der Hausmusik. Ehrlich gesagt war für mich der Fußballverein ausschlaggebend. Ich sehe, wie viele Leute sich bei uns in Gauting ehrenamtlich betätigen, um eine sportliche Ausbildung sicherzustellen. Man kann davon ausgehen, dass jeder Junge da irgendwann einmal mitgemacht hat. So etwas Beeindruckendes gibt es im Bereich der Musik und speziell in dieser Altersgruppe zu selten. Also haben der Dirigent Johannes X. Schachtner und ich beschlossen, so ein Orchester zu gründen. Wir hatten auch auf einen Schlag 30 Mitglieder zusammen.
Ist für die Eltern nicht auch besonders attraktiv, dass das eigene Kind von einer berühmten Musikerin betreut wird?
Das hat, glaube ich, keine besonders große Rolle gespielt. Vielleicht kommen einige Kinder deshalb, weil ich natürlich für eine gewisse Qualität stehe. Wir spielen ja nicht "Morgen kommt der Weihnachtsmann" und gehen dann wieder heim. Bei unseren wöchentlichen Proben können die Kinder erfahren, was im Orchester vor sich geht. Ich hätte mir zum Beispiel als Kind gewünscht, dass sich einmal jemand vor mich hinstellt und erklärt, was ein Dirigent da eigentlich macht. Bis ich erst begriffen habe, dass die Bewegung nach unten die Eins ist... Wir haben bei einer Probe auch einmal die Kinder dirigieren lassen, damit sie das rudimentäre Verständnis von Bewegung und Zeichengebung bekommen.
"Die Kinder mussten viel mehr ertragen"
Wie hat sich die Pandemie auf die Orchesterarbeit ausgewirkt?
Wir haben das Orchester 2019 gegründet. Corona war für uns eine Katastrophe. Gerade, als es nach ein paar Monaten angefangen hat, g´scheit zu klingen, durften wir nicht mehr proben. Und auch später durften wir nur sporadisch und in kleinen Gruppen spielen, dazu mit Abstand. Beim Orchesterspielen aber ist der Abstand zwischen den Musikern ein großes Problem. Deswegen machen wir ja auch auf Tournee in jedem Saal eine Anspielprobe, weil wir herausfinden müssen, wie und wo alle sitzen müssen, damit es am besten klingt. Gute Dirigenten fangen dann sogar noch einmal an, die Musiker umzusetzen. Für ein Kinderorchester aber ist es die absolute Hölle, mit Abstand zu spielen! Erst seit zwei Wochen dürfen wir wieder zwei Kinder an ein Pult setzen.
Kritisieren Sie die Schutz-Maßnahmen?
Ich fand die Corona-Maßnahmen in einem Punkt ungerecht: Die Kinder mussten viel mehr ertragen. Die Tatsache, dass sich meine Kinder in der Schule dreimal die Woche testen müssen - und wir bei den Orchester-Proben kontrollieren mussten, ob die Kinder getestet sind -, aber die Erwachsenen ungetestet in die Arbeit gehen dürfen, ist absurd. Das, was man von den Kindern verlangt, muss man von den Erwachsenen auch verlangen. Mindestens. Ich appelliere auch an alle Eltern, die Kinder jetzt wieder ins Konzert mitzunehmen, sonst wird das eine Generation, die nicht daran gewöhnt ist, ins Konzert, ins Museum, ins Theater zu gehen, und das würden wir uns nicht verzeihen.
Wird sich Ihrer Meinung nach der Musikbetrieb durch die Pandemie langfristig verändern?
Es wäre nötig, die Corona-Zeit als eine Gelegenheit zur Verbesserung zu begreifen. Ich meine das in Bezug auf die Klimakatastrophe. Wir haben festgestellt, dass es nicht unbedingt notwendig ist, jede Woche auf einem anderen Kontinent zu sein. Auch in der Musikbranche müssen wir uns überlegen, wie das in Zukunft laufen soll. Es geht einfach nicht mehr, dass jedes Orchester einmal im Monat nach Asien fliegt. Auch ich plane meine Konzerte mittlerweile so, dass ich sowenig wie möglich europäisches Festland verlasse. Natürlich bin ich keine Heilige, es gibt auch Angebote, die ich unbedingt annehmen möchte. Aber man muss nicht auf jeden Flug nach Shanghai aufspringen.
Sie verzichten also auch, wenn New York anruft?
Nein! Man muss nicht verzichten! Das soll man nicht immer so darstellen. New York ist toll, super Stadt, tolles Orchester, toller Chefdirigent. Aber Potsdam war auch toll. Es ist ja nicht so, dass die Konzerte in San Francisco oder Tokyo automatisch besser sind. Vor zwanzig Jahren war es für ein Orchester ein Ereignis, nach Asien zu fliegen. Heute hat sich eingebürgert, dass man nicht für einen Kulturaustausch nach Korea oder Japan reist, etwa, um die dortigen Kollegen kennenzulernen, sondern, dass europäische Orchester im Stundentakt auf Tournee gehen, nur, um dort Konzerte zu geben. Von den Angeboten her könnte ich faktisch jeden Monat eine Asien-Tournee spielen, was natürlich auch finanziell sehr lukrativ ist. Aber ich mache es nicht. Es ist einfach nicht notwendig. Ich fahre wahnsinnig gern nach Stuttgart und spiele mit dem Symphonieorchester des SWR. Man muss nicht alles rigoros auf Null fahren, aber es muss doch ein bisschen Maß möglich sein. Wir haben es in der Hand.
Am 12. Oktober spielen die Kindersinfoniker im Carl-Orff-Saal im Gasteig u.a. den "Karneval der Tiere" (10 Uhr Konzert für Schulen, 16 Uhr für Familien), Karten bei muenchenticket.de. Am 23. Februar spielt Julia Fischer in der Isarphilharmonie mit den Wiener Symphonikern das Brahms-Konzert, Infos unter bellarte-muenchen.de.