Geiger Daniel Hope über sein neues Album: Jazz heißt lernen, sich zu öffnen

Auf seinem neuen Album "America" ergründet der Geiger Daniel Hope mit einem Programm von Gershwin über Copland bis Price verschiedene Facetten der amerikanischen Musik und lässt Jazz und Klassik gleichwertig nebeneinander stehen.
AZ: Herr Hope, Sie haben einmal gesagt, man würde es sofort hören, wenn ein Stück aus Amerika stammt. Wie würden Sie denn diesen besonderen amerikanischen Klang beschreiben?
DANIEL HOPE: Wenn man ein Stück von Aaron Copland hört, dann hat man eine fast klischeehafte Westernlandschaft mit einer weiten Prärie vor Augen und spürt den amerikanischen Pioniergeist. Aber genauso ist es, wenn ich Scott Joplin oder Duke Ellington, George Gershwin oder Leonard Bernstein höre: Ich denke sofort an Amerika. Daran sieht man, wie vielfältig diese Konstellation von Amerika ist und wie wichtig der afroamerikanische Einfluss und jener der Einwanderer war.
Welches Amerika erklingt auf Ihrem Album?
Ich habe mich letztlich auf 35 Jahre konzentriert, von Mitte der 30er bis Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Das war eine Zeit, in der ein enormer Aufbruch in Amerika stattgefunden hat, politisch sowie musikalisch. Maßgeblich für diese Jahre waren das Ende der Prohibition, die Entwicklung des Jazz, die Bürgerrechtsbewegung und viele andere. Ich wollte zeigen, wie reichhaltig die amerikanische Musik ist und wie sehr sie ein Schmelztiegel für afroamerikanische, europäische, jüdische und zentraleuropäische Einflüsse war. Mich verbindet eine besonders enge Freundschaft mit dem afro-amerikanischen Jazzpianisten Marcus Roberts. Ursprünglich war die Idee, ein Projekt zu kreieren, das die Welten der Klassik und des Jazz miteinander verbindet. Dann habe ich mich in die Materie vertieft und bin bei der Frage gelandet: Was ist Amerika eigentlich?
Daniel Hope: "Es gibt eine größere Neugier auf beiden Seiten"
Sie sehen Jazz und Klassik als zwei Welten?
Ja, das sind tatsächlich zwei Welten. Sie sind einerseits miteinander verwandt, aber andererseits völlig losgelöst voneinander. Es gelingt sehr selten, dass diese Welten bei einem Konzert oder auf einem Album koexistieren, ohne dass es sich nur um einen oberflächlichen Effekt handelt. Wir wollten das mit diesem Album anders lösen.
Es gibt ja viele Crossover-Projekte. Findet die Begegnung der Welten nicht bereits statt?
Es gibt heute definitiv eine größere Neugierde auf beiden Seiten, etwas miteinander auszuprobieren und viele klassische Musiker haben den Wunsch, "ein bisschen Jazz" zu spielen. Wir sind allerdings als klassische Musiker oft nicht darauf vorbereitet, groß zu improvisieren. Wir lernen Notation und die Werke zu studieren, die es schon lange gibt. Das ist vollkommen konträr zu dem, was ein Jazzmusiker macht. Ich hatte das große Glück, dass meine erste Geigenlehrerin mir das Improvisieren beigebracht hat. Ich möchte keineswegs behaupten, dass ich Jazzmusiker bin. Aber ich habe die Fähigkeit, zu improvisieren. Das war die Brücke zu Marcus Roberts.
Unter all den Stücken auf Ihrem Album: Gibt es eines, das Ihnen besonders viel bedeutet?
Zweifelsohne "Come Sunday" von Duke Ellington. Interessanterweise gibt es eine Fernsehaufnahme aus den 50er Jahren von diesem Stück mit Duke Ellington und Yehudi Menuhin. Es ist ein alter Schwarzweiß-Film, den ich seit meiner Kindheit kenne. Was Menuhin hier macht, mit welcher Inbrunst und Offenheit er dieses Stück interpretiert, und wie Ellington ihm gleichzeitig mit feiner Zurückhaltung, weil er ihn offensichtlich sehr verehrt, aber eben doch die Richtung zeigen möchte, das ist eine unglaublich schöne Beobachtung. Mein Traum war es, etwas von diesem gegenseitigen Respekt widerzuspiegeln auf unserem Album. Also nicht ein klassischer Geiger zu sein, der nun auch ein bisschen Jazz macht, sondern, von der Klassik kommend, sich zu öffnen und wirklich frei zu empfinden.
Sie leiten das New Century Chamber Orchestra und sind regelmäßig in Amerika. Welches Land erleben Sie dort?
Ich erlebe ganz unterschiedliche Seiten. Gerade in Kalifornien überwältigen einen die Freundlichkeit und der Optimismus nach wie vor. Es gibt dort eine solche Frische und Begeisterung für Musik und alles Gestalten. Und gleichzeitig spürt man eine zunehmende Verhärtung der Gesellschaft. Das Land ist hochpolarisiert und gespalten, und steht vor zunehmend großen Schwierigkeiten und Problemen. Ich bin gespannt, wie und ob man sie lösen kann. Aber dies gilt inzwischen ja auch für Europa.
Sie haben das Album Ihrer Großtante gewidmet, die 1939 in die USA fliehen musste, um ihr Leben zu retten. War Amerika für Ihre Familie seither ein Sehnsuchtsort?
Ja, Amerika war natürlich immer mit dem Freiheitsgedanken verbunden. Meine Tante Leni ist im April 1939 aus Berlin über Schweden nach Amerika geflohen. Und das Faszinierende ist: In dem Moment, in dem sie dort ankam, hat sie sich entschlossen, ab sofort Amerikanerin zu sein. Es wurde kein Deutsch mehr gesprochen und alles, was amerikanisch war, war gut. Sie ist nie wieder zurückgegangen nach Deutschland und wenn die amerikanische Nationalhymne gespielt wurde, hat sie geweint.
Ist Ihr Album auch politisch?
Ich glaube, dass eine Auseinandersetzung mit dieser Zeit nie wirklich unpolitisch sein kann, ein Statement ist es allerdings nicht. Es ist eher die musikalische Verkörperung der Geschichte eines Landes, das sehr viel durchgemacht hat, aber die Menschen bis heute noch immer inspiriert. In einer extrem kurzen Zeit hat sich dort eine solche Vielfalt und unglaubliche Dynamik entwickelt. Das finde ich fantastisch.
Prinzregententheater, 1. Februar, 20 Uhr, Restkarten an der Abendkasse. Die CD "America" erscheint am Freitag (Deutsche Grammophon)