Französisches mit Bierbauch

Erfunden wurde die Operette von Jacques Offenbach in Paris. Dann spielte die Musik des heiteren Genres bis zum langen Dahinsiechen der Gattung in die österreichisch-ungarische Monarchie. Frankreich hingegen wurde ein weißer Fleck auf der Landkarte des musikalischen Unterhaltungstheaters.
Die Stiftung Palazzetto Bru Zane widmet sich primär der vergessenen französischen Musik des 19. Jahrhunderts. In Zusammenarbeit mit dieser in Venedig ansässigen Institution brachte nun das Münchner Rundfunkorchester die Operette "Ô mon bel inconnu" von Reynaldo Hahn zur Aufführung - ohne ersichtlichen Grund, denn eine Aufnahme dieses 1933 in Paris uraufgeführten Werks existiert längst in der hübschen CD-Reihe der Stiftung. Und mehr als ein musikhistorisches Interesse vermochte der angestrengt mit einer Pause auf 80 Minuten gestreckte Zweiakter auch nicht zu wecken.
Konzertante Aufführungen sind zudem allenfalls unfreiwillig komisch und somit ein schwieriges Pflaster für das heitere Theatergenre. Für den Humor war primär Stefan Wilkening zuständig: Der Schauspieler und Sprecher erzählte die sehr braven erotischen Verwirrungen der Handlung putzig, aber auch ein wenig zu ausführlich nach (Zwischentexte: Stefan Frey). Reynaldo Hahn mag ein großartiger Komponist intimer französischer Lieder sein, doch seine Operettenmusik geht gefällig bei den Ohren hinein und wieder hinaus.
Haften blieb höchstens ein öfter wiederholter Walzer, ein Damen-Terzett am Ende des zweiten Akts und sowie ein komisches Telefonat. Der Dirigent, Cembalist und Chorleiter Hervé Niquet ist eine Kapazität der Alten Musik, aber kein Mann für Komik. Seine Tempi blieben wenig abwechslungsreich, das Münchner Rundfunkorchester, dem Leichtigkeit durchaus gegeben wäre, hängte unter seiner Leitung einen deutschen Klang-Bierbauch von 30 Streichern unter die fünf tapferen Bläser und das Orchesterklavier. Das machte die Angelegenheit zäh und unbeweglich, obwohl sich ein gut eingespieltes Ensemble französischer Sänger strebend um Humor bemühte.
Ist das zu hart formuliert? Nein. Man kann ziemlich leicht herausfinden, wie Reynaldo Hahns Musik klingen sollte. Denn es existiert eine historische Aufnahme einer Nummer von "Ô mon bel inconnu" unter Leitung des Komponisten. Und siehe da: Die für singende Schauspieler komponierte Musik ist tatsächlich witzig, wenn sie ganz trocken gesungen und gespielt wird.
Warum lässt man so etwas dann von wackeren Opernsängern singen - ein Fehler, der auch bei österreichischen Operetten häufig gemacht wird? Aufführungen in Zusammenarbeit mit der Stiftung Palazzetto Bru Zane haben auch einen wissenschaftlichen Anspruch. Deshalb darf man sich über den eklatanten Missgriff dieser stilistisch verfehlten Aufführung nicht nur wundern, sondern auch ärgern.
Am 26. November führt das Rundfunkorchester Verdis "Ernani" konzertant im Prinzregententheater auf