Familienalbum: Wolfgang Niedecken im Interview über das neue Album und BAP

Wolfgang Niedecken über sein neues "Familienalbum" und über Treffen mit Bob Dylan, Keith Richards und anderen Idolen.
von  Dominik Petzold
Ein Kölner in New Orleans. Wolfgang Niedecken spielte „Das Familienalbum“ in den USA ein.
Ein Kölner in New Orleans. Wolfgang Niedecken spielte „Das Familienalbum“ in den USA ein. © Tina Niedecken

New Orleans - BAP-Fans sind mit Wolfgang Niedeckens Familie vertraut, im Lauf der Jahre hat er sie immer wieder besungen. Nun hat er ein ganzes Album mit diesen Liedern neu eingespielt: Auf "Das Familienalbum – Reinrassije Strooßekööter" kommen sein Opa vor, ein Kirchenmaler, der seine Familie zwischen den Kriegen als Anstreicher über Wasser hielt, seine Oma, die in Köln als Schaffnerin der Pferdebahn und später der elektrischen Straßenbahn arbeitete, seine Eltern und viele mehr.

Nur auf den berühmtesten seiner Familiensongs – "Verdamp lang her", ein Zwiegespräch mit seinem Vater – hat Niedecken verzichtet. Die zwölf alten und einen neuen Song hat er in New Orleans aufgenommen. Bei der Produktion unterstützten ihn eine Reihe amerikanischer Top-Musiker. So erstrahlt die Niedecken’sche Familiengeschichte in wundervollem Sound.

AZ: Herr Niedecken, Sie haben Ihr Album mit großartigen Musikern in New Orleans aufgenommen. Wie lief das so ab?
WOLFGANG NIEDECKEN: Stewart Lerman hat diese Leute für uns ausgesucht. Das sind alles Musiker, die keinem mehr etwas beweisen müssen: Steuart Smith spielt seit ewigen Zeiten die schwierigen Gitarren-Parts bei den Eagles, Bassist Roscoe Beck war 30 Jahre lang musikalischer Leiter bei Leonard Cohen, Schlagzeuger J.J. Johnson spielt bei der Tedeschi Trucks Band. Wir haben die Songs meistens nur einmal durchgespielt und gefragt, ob wir’s mal aufnehmen sollen. Und oft kam dann von Stewart: Ich hab’s schon aufgenommen. Und teilweise hat’s schon gepasst. Das Kunststück bei den Aufnahmen war, die Atmosphäre von New Orleans einzufangen, aber nicht mit Klischees zu arbeiten. Das könnte man ja bis zum Abwinken machen, nur damit Lieschen Müller denkt: "Ah toll, das Album ist in New Orleans aufgenommen worden!" Aber sowas ist Quatsch.

Das Feeling auf dem Album ist toll. Könnten deutsche Musiker das auch so hinkriegen wie die Amerikaner?
So unangestrengt nicht. Es gibt verdammt gute Musiker in Deutschland, aber an irgendeiner Stelle denken sie dann doch immer von hinten durch die Brust ins Knie und fragen: Wie würden die Amis das jetzt machen? Und das ist schon falsch. Denn die müssen gar nicht darüber nachdenken.

Sie haben auf dem Album Songs zusammengestellt, die von ihrer Familie handeln. Wieso?
Wenn man das Rentenalter erreicht, wird das wichtiger als in dem Alter, wo der Horizont noch ganz weit weg ist. Ich habe immer schon Songs geschrieben, die mit meiner Familie zu tun haben. Man hätte diese Stücke auch kompilieren können, aber das wäre dann so eine musikalische Kneippkur, kalt und heiß – und sowas braucht kein Mensch. Mir war es wichtig, die Songs aus einem Guss aufzunehmen. Es gibt einen neuen Prologsong, und dann kommen 13 Stücke, die einen zeitlichen Bogen spannen. Es geht los bei meinen Großeltern und endet mit einem Lied für meine Frau und der Erkenntnis: Unsere Kinder sind aus dem Haus – was machen wir zwei Alten jetzt? Und: Schön, dass wir uns haben. Es ist ein Liebeslied mit Familienzusammenhang. Jeder weiß: Ich darf der King sein, wenn mir danach ist, aber das Familienoberhaupt ist meine Frau.

Ihre kölschen Texte sind weitgehend unverständlich für Nicht-Rheinländer. Zählt letztlich nur der Sound?
Die Frage ist ja: Ist Kölsch besser geeignet als Hochdeutsch? Meine Muttersprache ist unglaublich biegsam. Als Kölscher singst Du ja schon, wenn Du redest. Wir singen die ganze Zeit! Und man kann Worte ineinander fließen lassen, Endungen einschleifen, wie im Englischen und Französischen. Hochdeutsch ist eine Amtssprache, und wer will denn in Amtssprache seine Gefühle äußern? Alle Sänger brauchen einen Dreh, wie Amtsdeutsch lässiger klingen kann. Ob das Udo Lindenberg mit seinen Schnoddrigkeiten ist oder Herbert Grönemeyer, der das Amtsdeutsch übertreibt. Ich selbst habe da nie drüber nachgedacht, mein erstes Stück ist entstanden, als ich Liebeskummer hatte. Und da habe ich in der Sprache gesungen, in der ich das empfunden habe.

Sind Texte gar nicht so wichtig, wenn die Leute sie nicht oder nur teilweise verstehen?
Doch. Die Leute müssen das Gefühl haben, dass der Sänger etwas singt, das für ihn wichtig ist. Fürs bessere Verständnis gibt es ja die Booklets, unsere Texte sind auch im Internet übersetzt, und es gibt einen Band mit Übersetzungen bei Hoffmann & Campe. Ich kann relativ gut Englisch, aber ich kann wirklich nicht behaupten, dass ich jedes Album meiner Idole auf Anhieb verstehe.

Viele dieser Idole haben Sie im Lauf ihrer Karriere kennengelernt. Wie war das?
Die meisten waren so, wie ich sie mir gewünscht habe. Keith Richards war unfassbar nett. Ich habe ihn kennengelernt, als er solo in Köln gespielt hat. Zwei Maler, die mit Keith befreundet waren, haben mich mit backstage genommen: Sebastian Krüger und Gottfried Helnwein. Wir sind unmittelbar nach dem Konzert zu ihm gegangen, da war er noch nicht mal umgezogen. Ich wurde ihm als Musiker vorgestellt, und er wollte sofort wissen, wie ich bestimmte Dinge gefunden hätte. Ohne Worte! Mr. Rock’n’Roll fragt mich nach meiner unwichtigen Meinung!

Sie haben auch Bob Dylan getroffen, dessen Songs Sie auf "Leopardefell" aufgenommen haben. Wie war das?
Sehr angenehm! Mein Freund Wim Wenders hat in Köln den BAP-Film gedreht, und wir haben festgestellt: Dylan spielt in der Kölnarena. Wenders war mal mit Ronee Blakley verheiratet, die mit Dylan auf der Rolling Thunder Revue war, daher kannten die beiden sich ganz gut. Wir haben das Konzert seitlich von der Bühne aus angesehen, und da guckte Dylan auf einmal rüber. Er hat Wim erkannt und sich gefreut ihn zu sehen. Anschließend sind wir in die Garderobe. Da hatte der eine Kumpel dem anderen seinen Kumpel vorgestellt. Das hatte dann überhaupt nichts mehr von einer peinlichen "Meet & Greet"-Veranstaltung. Im Gegenteil, Dylan war überhaupt nicht abweisend oder geheimnisvoll, sondern ein ganz netter, verbindlicher Kerl.

Worüber redet man mit Bob Dylan?
In erster Linie war ich Mäuschen. Ich habe ihn nicht damit genervt, dass ich mal ein Album mit seinen Stücken gemacht habe. Ich weiß aber, dass er es gehört hat, weil Bruce Springsteen es ihm gegeben hat. Bruce hatte gesagt: Das muss der jetzt auch mal hören. Dylan hat dann eine ganze Kiste bestellt, der hat wohl ein Riesenarchiv, das professionell gepflegt wird.

Woher kennen Sie Bruce Springsteen?
Bruce habe ich in New York kennengelernt, als ich ihn für die ARD interviewt habe. Wir haben uns dann angefreundet, haben das Video zu "Hungry Heart" in Berlin aufgenommen und etliche Male zusammengespielt. Wann immer er in Deutschland ist, haben wir Kontakt. Der ist auch ein riesiger Dylan-Fan. Das ist immer so ungefähr das Erste, worüber wir uns unterhalten. Zuerst fragen wir: Wie geht’s Dir, was machen die Kinder? Und dann: Haste das letzte Dylan-Album gehört? Was hältste davon?

Hört man die Musik anders, wenn man die Künstler kennt?
Ich habe ja auch vor vielen Jahren Heinrich Böll kennengelernt, und ich kann keinen seiner Romane lesen, ohne dass er ihn mir vorliest – ich höre den Tonfall. Und wenn ich DVDs von Springsteen angucke, dann weiß ich, wie das ist, wenn er im gleichen Raum ist.

Gab es bei den ganzen Rock-Helden auch negative Überraschungen?
Nur Chuck Berry ist unfreundlich gewesen, aber nicht nur zu mir, sondern zu allen. Der war ein frustriertes Ekelpaket, kein netter Mensch. Aber ich kann ihn verstehen, er hat ja mehr oder weniger den Rock’n’Roll erfunden, und er haderte wohl, dass andere sehr viel mehr daran verdient haben als er.

Waren Sie auch mal nervös bei solchen Begegnungen?
Ich habe während meines Kunststudiums, bei jeder Tour mindestens ein Konzert von Rory Gallagher gesehen. Und dann habe ich ihn 1982 beim Rockpalast auf der Loreley kennengelernt. Da war ich unglaublich nervös – und der Kerl war so nett! Der hat mich sogar auf seiner legendären abgeblätterten Fender Strat spielen lassen, die ich auf so vielen Plattencovern gesehen hatte. Und ich dachte: Was machste jetzt? Das einzige, was ich noch hinbekommen habe, war G-Dur.

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