"Falstaff" im Staatsoper-Stream: Ganz ohne Corona ausgebremst
München - Der hässliche Schluss dieser Produktion war angekündigt. In der Neu-Inszenierung von Giuseppe Verdis Oper "Falstaff", so hieß es im Vorfeld kryptisch, würde die Pandemie ihre Spuren hinterlassen. Seit der Premiere, der ersten in der Geschichte der Staatsoper, die ohne Publikum im Saal nur live im Netz gestreamt wurde, weiß man, was das bedeuten sollte. Es ist deprimierend.
Das Bayerische Staatsorchester: peinlich berührt
Vor der Doppelhochzeit und der Schlussfuge erstirbt das Geschehen, das Licht erlischt, Falstaff verlässt die Bühne. Der Rest des Stücks findet über einen jener geteilten Bildschirme statt, die alle Corona-Geplagten mittlerweile zur Genüge kennen, und auf dem die Protagonisten ihre Stimmen als vorproduzierte Videokonferenz singen. Alle, die gerade noch live musiziert hatten, legen zu dieser Konserve die Arbeit nieder. Die Sänger und der Dirigent kommen in Alltagsmasken stumm auf die Bühne. Das Bayerische Staatsorchester sieht, sichtlich peinlich berührt, nur noch zu.
"Falstaff": fast nur Plattitüden
Das soll wohl ein ätzender Kommentar zur derzeitigen Pandemie-Politik sein, die sich im kulturellen Bereich tatsächlich zerstörerisch auswirkt. Man würde der Regisseurin Mateja Koležnik diese finale Anklage auch abnehmen, wenn ihre erste Operninszenierung bis zu diesem brachialen Kollaps aufrüttelnd, wenigstens originell gewesen wäre. Doch zu "Falstaff" fielen der Slowenin, die viel modernes und Gegenwartstheater gemacht hat, bis kurz vor Schluss nur Plattitüden ein.
Alle drei Akte spielen in einem einheitlichen Bühnenbild, einer Konstruktion von 16 hohen Türen (Bühne: Raimund Orfeo Voigt). Zunächst kann man hinter diesen noch die Geschäfte eines Spiel-Casinos mit niedrig hängenden Deckenlichtern beobachten, in dem halbseidene Mafiosi und Jetset-Damen in 60er-Jahre-Fummeln dekorativ herumstehen (Kostüme: Ana Savic-Gecan). Dieser so banale wie sinnfreie Einfall wird jedoch irgendwann aufgegeben, sodass für den finalen Spuk im nächtlichen Park von Windsor nur noch die zugige Türenwand übrigbleibt.
Auf öde Konvention folgt plumper Schock
In diesem atmosphärelosen Setting treten die Feen allen Ernstes als Varieté-Tänzerinnen mit Federschmuck auf. Das wirkt wie ein Klischee aus einer lange abgewickelten Operettenproduktion, doch Mateja Koležnik arbeitet nicht mit dieser Zitathaftigkeit, in deren abgeschmackter Uneigentlichkeit durchaus Potential stecken würde. Stattdessen langweilt sie das Publikum bis weit in den dritten Akt hinein kurz vors Koma und verpasst ihm am Ende zum Lohn eine Watsch'n. Erst öde Konvention, dann plumper Schock: das Schlechteste aus beiden Welten.
Dirigent Michele Mariotti mit latenter Teilnahmslosigkeit
Liegt die latente Teilnahmslosigkeit des Dirigenten Michele Mariotti daran, dass es schwer ist, sich für eine in Zeitlupe missglückende Inszenierung zu animieren? Wenn der Italiener die Tempovorschrift "Allegro moderato" liest, befolgt er vor allem die Mäßigung. Würde es sich nicht ausgerechnet um den vor Leben sprühenden "Falstaff" handeln, könnte man die Bedächtigkeit schätzen und die Transparenz genießen, mit der das Bayerische Staatsorchester diese Wunder-Partitur auslotet. Doch hier wird ausbuchstabiert und breitgetreten, was duftig vorbeifliegen sollte.
Auch die Titelrolle überzeugt nicht
Gerade in dieser immer leicht sedierten Atmosphäre fällt auf, dass Wolfgang Koch in der Titelrolle mehr auf genaue Phrasierung setzt denn auf überbordende Komödiantik. Dieser Falstaff hat keinen Bauch, weder stimmlich - die Tiefe ist schmalbrüstig -, noch im Sinne theaterhafter Übertreibung. Dass bei manchem baritonalen Schattenwurf eine Prise Wotan mitschwingt, wäre ein reizvolles Detail, wenn es Koch nicht generell an italienischem Feuer fehlen würde.
Keine der Damen sticht heraus
Auch Boris Pinkhasovich als Ford strahlt eher heldisch als dass er sich mit dunklem Machismo in seine Eifersucht hineinsteigern würde. Da Verdis letzte Oper, abgesehen von seinem im Zentrum stehenden Titelhelden, ein Ensemblestück ist, kann man es verkraften, dass die Damen alle hübsch anzuhören sind, aber keine heraussticht, nicht einmal die Mrs. Quickly von Judit Kutasi. Ailyn Pérez als Alice, Daria Proszek als Meg, selbst die Nannetta der Elena Tsallagova sind sich auch vom Timbre her ein wenig zu ähnlich, agieren alle zu divenhaft, zu wenig augenzwinkernd. Aber in diesem Punkt wirkt wohl auch die mediale Technik nivellierend, im Saal hätte man vielleicht mehr Differenzen wahrgenommen. Fazit: Auf eine adäquate Inszenierung zur gegenwärtigen Situation müssen wir noch warten. Der Titel einer "Produktion zur Pandemie" ist noch frei.
Bis auf Weiteres keine Vorstellungen vor Publikum. Auf staatsoper.tv ist das Video für 14,90 Euro kostenpflichtig abrufbar.
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