Kritik

Extrabreit im Strom: Schon beim ersten Lied rasten die Fans aus

Ihren größten Hit hatte Extrabreit während der Neuen Deutschen Welle, doch auch 40 Jahre später hat die Band ihr Publikum im Strom verdammt schnell im Griff - und das ist weit jünger, als man meinen würde. Die AZ-Kritik zum Konzert.
von  Moses Wolff
Extrabreit waren zu Gast in München und haben das Strom beben lassen.
Extrabreit waren zu Gast in München und haben das Strom beben lassen. © Daniel Pilar

München - Es ist wie immer. Die Menschen strömen zu Hunderten in den Saal, alle sind auf eine verspielte Weise aufgeregt, manche Fans haben ihre körperliche Erscheinung im Lauf der Jahre verdoppelt, daher ist es an manchen Bereichen des Clubs nicht leicht, zum Toilettengang aneinander vorbeizukommen, aber durch die gelassene Atmosphäre gelingt auch dies.

Sehr viele Besucher und Besucherinnen sind gerade mal aus dem schulpflichtigen Alter raus, wirken aber äußerlich eher rebellisch, die Lippen sind blau, die Haare grün, allerdings tragen sie keine Streichholzetiketten am Ohr, wie einst in einem der größten Erfolge von Extrabreit besungen, jenem Song "Hurra, Hurra, die Schule brennt", inspiriert von einem gleichnamigen Filmklassiker mit Hansi Kraus und Heintje aus dem Jahre 1969. 

Extrabreit im Münchner Strom: Schon beim ersten Lied wird Pogo getanzt

Die Party beginnt schnörkellos und so wie immer: mit einem Instrumentalmedley der größten Hits vom Band, dann erscheint unprätentiös die Band und spielt das Eingangslied "Extrabreit": "Was bist du heut cool geworden, deine Mauern sind extrabreit. Und so hockst du lebenslänglich in deiner neuen Zeit."

Schon bei diesem ersten Track rastet das Auditorium buchstäblich aus, es wird trotz restlos ausverkauftem Haus Pogo getanzt, die Hälfte singt Wort für Wort fehlerfrei mit. Nur manchmal haben sich die Zeilen geändert wie die Zeiten, immerhin gibt es kein geteiltes Berlin mehr und auch keine DDR, die Westfernsehen guckt. Auch manches Intro wurde kreativ verändert, das rasante "Hart wie Marmelade" wird durch einen bluesig-souligen Part eingeleitet, um dann ab dem ersten Refrain völlig zu eskalieren.

Zwischendurch unterhält der ewige Sunnyboy Kai durch hübsche kleine Anekdoten, etwa als sich die Gruppe in ihrer Heimatstadt Hagen einen Bandraum mit Nena teilte, allerdings nur kurz, da die Vorstellungen, wie ein aufgeräumter Probenraum auszusehen hat, deutlich unterschiedlich waren und Nena, so der Sänger: "schon damals ziemlich zickig" war.  

Das Konzept von Extrabreit stand von Anfang an fest. Ähnlich wie bei AC/DC gibt es gewisse Rituale, die jedes Konzert begleiten, die Rituale sind sehr gut und werden logischerweise von der Zuhörerschaft, teils allzu lautstark, eingefordert. Doch der mit seinen 66 Jahren immer noch sehr jugendlich, cool und sexy wirkende Frontmann Kai Hawaii weiß das euphorische Volk zu bändigen, immerhin tut er dies ja nun schon seit 45 Jahren.

Seinen kahlrasierten Schädel ziert eine fesche Baseballkappe, eine Katze mit Helm ziert die Frontseite seines T-Shirts, neuerdings trägt er eine Brille, aber auch die wirkt lässig und so, als wäre sie schon immer dagewesen. Diese Band ist eine Urgewalt, ein Fels in der Brandung, ein Titan mit verlässlich satter Rockmusik und fetten Beats des seit Jahrzehnten trommelnden Schlagwerkers Rolf Möller.

Der Gründer der Gruppe, Stefan Kleinkrieg, legte 1978 in Hagen den Grundstein für eine beachtliche Karriere mit mittlerweile 13 Studioalben und etlichen sehr erfolgreichen Singles. Er ist der Jimmy Page der deutschen Punkrockmusik und mochte die Zuordnung zur so genannten "Neuen Deutschen Welle" nie, es war ein reiner Zufall, dass die ersten Extrabreitplatten zufällig zur gleichen Zeit auf den Markt kamen.

Kleinkrieg ist der Vater der Kompanie, ein virtuoser und charismatischer Gitarrenspieler, der einst mit einem schwarzen Edding-Stift hantierte, auf dem stand: "nachfüllbar, extrabreit". Ein Bandname musste also nicht lange gesucht werden, bald wurden sie eine der kommerziell erfolgreichsten deutschen Bands, eine Zeitlang hatten sie sogar ein eigenes Bier. Manchmal gab es Eskapaden mit Drogen oder Umbesetzungen, aber der Stamm blieb. Die Fans auch.

Extrabreit live in München:  Alles war so, wie es das Herz erfüllt und die Seele erfrischt

Heute trägt Kleinkrieg eine zeitlose Schiebermütze und strahlt gewohnte Zwanglosigkeit aus. Links neben ihm Bubi Hönig an der zweiten Gitarre, rechts daneben der geniale Bassist Lars Larsson, der den Fans den wummernden Groove souverän direkt ins Antlitz befördert. Vor einigen Jahrzehnten durfte "Polizisten" nicht im Freistaat Bayern gesungen werden, aber die Melodie abzuspielen und das Publikum mitsingen zu lassen, war ein kleines Schlupfloch.

Heute gilt das Verbot nicht mehr und Extrabreit singt das Lied selbst. Einzig beim Albers-Gassenhauer "Flieger, grüß mir die Sonne" übernehmen die Fans den gesamten Schlussrefrain. Gegen Ende wird noch der mit den "Breiten" gut befreundete Hildegard Knef und ihrer gemeinsamen Remake-Version von "Für mich solls rote Rosen regnen" gehuldigt, dann kommen ein paar Zugaben und schließlich die wunderschöne Lou-Reed-Hommage "Junge, wir können so heiß sein" als traditionell letzte Nummer des Abends mit einem virtuosen Instrumental-Showdown, damit sich die Fanschaft an die Bar und die Band in den Backstage-Bereich zurückziehen kann, über dessen Komfort Kai Hawaii zu Beginn des Konzerts ein paar feine Scherze gemacht hatte.

Alle sind zufrieden, denn alles war so, wie es das Herz erfüllt und die Seele erfrischt. Extrabreit. Ein sehr gutes Konzept. Und das war es schon immer.  

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