Experimente in Eisenstadt

Von wegen braver Hofmusiker – Dirigent Adam Fischer wagt bei den Haydn-Festspielen im Burgenland eine aufregend neue Sicht
Volker Boser |
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Von wegen braver Hofmusiker – Dirigent Adam Fischer wagt bei den Haydn-Festspielen im Burgenland eine aufregend neue Sicht

Um Zahlen befragt, wurde die freundliche Dame vom Tourismusverband plötzlich still. Aber wenn man schon einmal im Burgenland ist, wo in diesen Tagen das Haydn-Festival Eisenstadt beginnt, dann möchte man eben auch gerne wissen, wie erfolgreich die erste Saison von Dagmar Schellenberger als Intendantin der Seefestspiele Mörbisch verlief oder wie sich Robert Dornhelms Inszenierung von Puccinis „La Bohème“ im Römersteinbruch von Sankt Margarethen verkauft hat.

Die offizielle Zurückhaltung ist verständlich. Mörbisch verzeichnete knapp 20 000 Besucher weniger. In Sankt Margarethen blieben etwa 2000 Plätze leer. Erklärungsversuche: Nicht jeder Burgenland-Tourist sei so gut betucht wie jene Salzburger Kulturschickeria, die mühelos 250 Euro pro Nacht und Zimmer ausgeben könne. Man lebe eben vom Ausflugspublikum.

Um jene Besuchergruppe kämpft auch Walter Reicher, der Intendant der „Internationalen Haydn-Tage“ in Eisenstadt. Hier liegt der Komponist begraben, hier wirkte er mehr als vierzig Jahre als Kapellmeister am Hofe des Fürsten Esterházy. Grund genug für ein Festival, das, wie man glauben sollte, auch außerhalb der Region Anerkennung findet. Aber Reicher klagt: über den Rückgang an Besuchern, denen das Geld nicht mehr so locker in der Tasche sitzt – und auch darüber, dass man mit dem Namen Haydn viele Bus- Unternehmer noch immer nicht so recht überzeugen könne; die wollten ihre Kunden lieber zu einer Walzer- Soirée karren.

In den beiden Eröffnungskonzerten blieben die wirtschaftlichen Probleme zum Glück vor der Tür. Der auch akustisch wunderbare Haydn-Saal des Schlosses Esterházy war mit seinen sechshundert Plätzen ausverkauft. Er ist die zentrale Spielstätte dieses Festivals. Der kleine Empiresaal nebenan ist dazu ein idealer Raum für Kammermusik. Hier wurde Haydns „Kaiserquartett“ uraufgeführt. Wenn Walter Reicher davon erzählt, dann bekommt er leuchtenden Augen: „Ich bin Haydn- süchtig!“ Man glaubt es ihm aufs Wort.

In diesem Jahr hat sich der Mitgründer des Festivals, der ungarische Dirigent Adam Fischer, alle Beethoven-Symphonien vorgenommen. Ihnen stellt er jeweils eine Symphonie von Haydn zur Seite. Am Eröffnungsabend erklangen die Erste und Vierte von Beethoven und Haydns Nr. 103: Deren „Paukenwirbel“ wurden mit geradezu signalartiger Kraft in den Saal getrommelt. Verglichen mit seiner Gesamtaufnahme, die er vor fast 30 Jahren begann, hat Adam Fischer der österreichisch-ungarischen Haydn-Philharmonie mittlerweile jegliche Gemütlichkeit ausgetrieben. Da wird alles andere als verbindlich musiziert, ein geradezu aggressiv formuliertes Angebot an den Zuhörer, das man ablehnen kann, dem zu widerstehen aber schwer fällt.

Einen Abend später musizierte Julia Fischer mit der glanzvollen Academy of St. Martin in the Fields Haydns Violinkonzert G-Dur sowie Bach und Mendelssohns frühe Streichersymphonie Nr. 9. Beide Konzerte trennten Welten. Wo Adam Fischer neue Sichtweisen wagt, in Kauf nimmt, zu polarisieren, bietet Julia Fischer gepflegten Mainstream, exakt wie mit einem Computer programmiert, unpersönlich, austauschbar. Deswegen muss man nicht nach Eisenstadt pilgern. Aber Adam Fischers Beethoven- und Haydn-Experimente, die sind wirklich eine Reise wert!

Haydn Festspiele Eisenstadt, noch bis 22. September, Information: www. haydnfestival.at

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