Es ist noch Luft nach oben

Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker mit Gubaidulina und Anton Bruckners Siebter im Gasteig
von  Robert Braunmüller

Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker mit Gubaidulina und Anton Bruckners Siebter im Gasteig

Bruckner spielen die Münchner Philharmoniker notfalls ohne Dirigenten und im Schlaf. Der österreichische Monumentalsymphoniker gilt nicht erst seit Sergiu Celibidaches Weihestunden als ihr Traditionskomponist. Ferdinand Löwe, ein Schüler des Symphonikers, war vor 100 Jahren ihr Chef, 1932 spielte das Orchester als erstes die Neunte im Original ohne glättende Bearbeitung.

Dass der künftige Chefdirigent Valery Gergiev ausgerechnet am Tag vor seiner Vertragsunterzeichnung die Siebte dirigierte, war wohl mehr eine Laune der Planung ohne tiefgründige programmatische Absicht. Es wäre falsch, die Aufführung überzubewerten. Denn der russische Tausendsassa ist als Bruckner-Interpret ein weitgehend unbeschriebenes Blatt.

Ein Problem jeder Aufführung der Siebten hatte der Mann aus dem Kaukasus fest im Griff. Die zweite Hälfte fällt nach dem Adagio oft etwas ab. Gergiev dirigierte das Scherzo nach der Trauermusik für Richard Wagner als derbe Feier des Lebens, das Finale als Manifestation wilder Kraft. Gergiev hat sich in den letzten Jahren viel mit Wagner beschäftigt. Das war auch bei seiner Bruckner-Interpretation zu spüren. Er betont die Melodien, das Üppig-Sonore und die effektvolle Erhabenheit. Es wirkte wie Thielemann in Cinemascope, mit grell leuchtenden Farben.

In manchem war es eine wohltuend sinnliche Alternative zum Bruckner-Weihrauch alter Schule oder einer strukturellen Auszehrung dieser Musik. Aber die Aufführung zeigte auch eine Schwäche Gergievs: Nach dem fast unhörbaren Streichertremolo am Beginn der Symphonie gab es kein Pianissimo mehr. Es mag hier manche unspielbare Vorschrift des Komponisten geben. Aber es ist eine Vergröberung, dass alles, was leise gespielt werden soll, gleich Mezzoforte daherkommt und aus jedem Forte ein Fortissimo wird. Die allerletzten Steigerungen an den Satzschlüssen dröhnten daher ziemlich rüde, was Gergievs Absicht einer klanglichen Rundung widersprach.

Im ersten Satz kostete Gergiev mit vielen Temporückungen schöne Stellen aus. Im Adagio ließ er sich immer wieder dem Fluss der Musik hintreiben, ohne wirklich zu steuern. Das mögen Musiker, und im Prinzip wäre dagegen auch nichts zu sagen, wenn nicht alle Beteiligten rundweg dazu tendiert hätten, Lautstärke mit Intensität zu verwechseln. Und ein paar kleinere Pannen gab es auch.

Bruckners Symphonien sind schwer mit anderer Musik zu kombinieren. Die Verbindung mit Sofia Gubaidulinas „Fachwerk“ für Bajan, Streicher und Schlagzeug wirkte aber zwingend. Die Musik der Komponistin hat einen mystisch-religiösen Grundzug, das Orchester ist blockhaft wie bei Bruckner gegen das diskret verstärkte Knopfakkordeon gesetzt. Dessen Wirkungen ließen an den alten Streit denken, inwieweit Bruckners Symphonien von der Orgel herkommen oder nicht. Interessante Programme und überraschende Kombinationen darf man von Gergiev ab 2015 also auf jeden Fall erwarten.

Nach der Bruckner-Symphonie gab es zwei Bravorufe. Sonst nahmen die philharmonischen Abonnenten das Konzert gleichmütig auf. Es bleibt also noch Luft nach oben.

 

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