Erinnern an "Kofflers Schicksal"

Dass er in der Zwischenkriegszeit als Professor für atonale Komposition und Harmonielehre im galizischen Lemberg wirkte, mag auf ein breites Publikum eher abschreckend wirken. Tatsächlich erweist sich Józef Kofflers Streichtrio aus dem Jahr 1928 aber als erstaunlich zugänglich, ja geradezu neoklassizistisch - zumal in der Bearbeitung für Kammerorchester, die mit zwei Oboen und einem Fagott ein konzertantes Element hinzufügte. Und dann hat der letzte Satz auch noch einen sehr überraschenden Schluss, der das Stück exakt dann enden lässt, wenn man sich in seine feinherbe Schönheit so richtig eingehört hat.
Das kann man symbolisch nehmen. Schönheit hat beim Jewish Chamber Orchestra Munich in der Regel einen doppelten Boden, weil die Programme des künstlerischen Leiters und Dirigenten Daniel Grossmann immer wieder an eine reiche Musikkultur erinnern, die im Zweiten Weltkrieg und dem Massenmord an den Juden Osteuropas untergegangen ist.
Auch Koffler gehört zu diesen Opfern. Er studierte in Wien bei Größen wie Guido Adler oder Egon Wellesz und promovierte über Felix Mendelssohn-Bartholdys Orchesterkunst. Als das nach dem Ersten Weltkrieg polnische Lemberg nach dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 Teil der Ukrainischen Sowjetrepublik wurde, bekam Koffler als avantgardistischer "Formalist" Ärger mit der Kulturpolitik der Besatzer. 1941 besetzte Nazi-Deutschland im Gefolge des Überfalls auf die Sowjetunion die Stadt, Koffler wurde ins Ghetto von Wieliczka deportiert und nach dessen Auflösung 1944 mit seiner Familie von einer deutschen Einsatzgruppe ermordet.
Der zweite Teil des Abends bezog Kofflers Biografie künstlerisch mit ein und schlug zugleich einen Bogen zur Gegenwart. Daniel Grossmann dirigierte Auszüge aus Kofflers hochseriöser Bearbeitung von Bachs "Goldberg-Variationen", die sich spielerisch an den barocken Orchesterstil anlehnt und die Stimmverläufe dieses für ein Tasteninstrument komponierten Werks transparent offenlegt. Dazwischen - und von Bach-Fetzen untermalt - sprach die Schauspielerin Jelena Kulić einen Text von Stella Leder, der assoziativ das Thema Erinnerung und die damit verbundene Anstrengung umkreist - und zwar aus der Perspektive der Nachkommen der Opfer wie der Täter.
Kulićs nüchtern-kaltschnäuziges Sprechen vermied jedwedes Gedenkstunden-Tremolo. Gegen Ende spielte der Text erkennbar auf einen bayerischen Politiker an, dem das Erinnern zuletzt ziemlich schwer gefallen ist, ohne dass der Name fiel. Der an Bachs Passionsarien erinnernde Schmerzens-Variation Nr. 25 diente als eine Art Requiem auf Kofflers und seine Familie. Bei dieser Passage stellten sich unwillkürlich Assoziationen zum pogromartigen Überfall der Hamas auf Israel vom 7. Oktober ein.
Diese Offenheit, die einerseits unmissverständlich bleibt, zugleich den Hörer aber zur eigenen Auseinandersetzung zwingt, ist eine Stärke dieses Abends, der sich nicht im Gedenken an einen vergessenen jüdischen Komponisten erschöpft. Grossmann, Leder und der Dramaturg Martin Valdés-Stauber ehren Kofflers Werke als künstlerisches Material, um es zu nutzen und dem heutigen Publikum zu vermitteln, wie gegenwärtig die schwierige Vergangenheit bleibt. Und das ist womöglich nachhaltiger, als in falscher Ergriffenheit zur Tagesordnung überzugehen.
Noch einmal als Schulkonzert am 27. Februar in den Kammerspielen, außerdem Gastspiele in Stuttgart, Dresden, Cottbus, Leipzig und Passau.