Ekstase mit Constantinos Carydis

Den aufregendsten Beethoven seit Jahren gibt es heute und morgen noch einmal mit dem Bayerischen Staatsorchester unter Constantinos Carydis im Nationaltheater
von  Robert Braunmüller
Constantinos Carydis und Johannes Dengler im Nationaltheater.
Constantinos Carydis und Johannes Dengler im Nationaltheater. © Wilfried Hösl

Vom Münchener Kammerorchester einmal abgesehen verkaufen uns die Luxusklangkörper dieser schönen Stadt Beethoven als Warmduscher. Dabei ist ein stürmisches „Allegro con brio“ das Lieblingstempo des klassischen Symphonikers. Und für Begriffsstutzige hat Beethoven bisweilen über jeder Note die Abkürzung für „Sforzato“ geschrieben, was heißt, dass die ohnehin schon wilde Musik nicht milde und abgeklärt, sondern knackig, deutlich und nötigenfalls mit Ingrimm gespielt werden sollte.

Wo die meisten Kapellmeister Beethoven herunterdämpfen, drehte Constantinos Carydis auf. Er verordnete dem Publikum zum Auftakt der Festwoche zum Doppelgeburtstag des Nationaltheaters ein heftiges Wechselbad aus kochend und eiskalt. Hin und wieder bestand zwar die Gefahr der Verbrühung, aber aufregender war die viel gespielte Siebte in München lange nicht mehr zu hören. Wir wagen sogar den Superlativ: noch nie!

Knacking Klang

Carydis hat sich eine sehr individuelle Sichtweise zurechtgelegt, die undogmatisch Einsichten der historisch informierten Spielweise aufgreift. Bei Mozarts „Figaro“ vor einem Jahr im Nationaltheater und der neuen „Zauberflöte“ bei den Salzburger Festspielen im Sommer wirkte das ein wenig überdreht. Bei Beethoven kommt diese Sichtweise einschließlich der sehr geschwinden Tempi zu sich, und das sehr wendig spielende Staatsorchester war mit vollem Ernst dabei. Wie es scheint, kann der Dirigent auch Musiker von seiner Deutung überzeugen, die sonst eher auf einen verbindlichen Klang setzen.

Denn das Staatsorchester spielte für seine Verhältnisse bläserbetont bis zur gelegentlichen Knalligkeit, etwa bei den schneidenden Trompeten in den beiden Finalsätzen. Aber bei Beethoven passt das. Schon im Kopfsatz stürmte eine napoleonische Revolutionsarmee über das Podium des Nationaltheaters. Im Allegretto sorgte ein sanft dosiertes Vibrato der Streicher für Wärme.

Dann setzte eine weitere Steigerung ein. Carydis inszenierte als Zeremonienmeister der Ekstase einen steten Wechsel aus Ruhe, Ballung und Entladung, bis er, gegen Ende, wild gestikulierend, in den Rausch selbst hineingezogen wirkte, obwohl er ihn tatsächlich bis zu den heftig herausplatzenden Schlussakkorden kontrollierte.

Keine Angst vor Neuer Musik

Das Publikum reagierte mit Begeisterung, Bravos und Getrampel. Von der ersten Hälfte des Konzerts waren die Gewinner der Kartenverlosung weniger angetan. Johannes Dengler spielte das Hornkonzert Nr. 2 von Richard Strauss zwar kantabel und elegant. Aber das Stück bleibt in seiner Verweigerung aller vordergründigen Effekte mehr etwas für Liebhaber und Kenner.

Seltsamerweise kamen auch die „Drei Märchenbilder aus der Schneekönigin“ von Hans Abrahamsen nicht besonders gut an. Eine sonore Englischhorn-Kantilene geht unmerklich in eine dramatische Ballung über, um dann in der hohen Lage der Flöten wieder zu entschwinden.

Es ist Neue Musik, die angstfrei mit Pop und Kino liebäugelt und Lust auf die komplette Oper macht, die nach der Uraufführung in Kopenhagen voraussichtlich im Dezember 2019 nach München kommt. Das könnte spannend werden. Aber mindestens genauso aufregend wäre es, wenn Carydis so schnell als möglich mit Beethoven zurückkehren würde.   

Wieder am Montag und Dienstag, 24. und 25. September, 20 Uhr als Akademiekonzert im Nationaltheater, Restkarten an der Abendkasse

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