Kritik

Ein Stück vom Paradies: Guns N'Roses im Münchner Olympiastadion

Nach langem Bangen um die Stimme von Axl Rose: Guns'n'Roses spielen im fast ausverkauften Olympiastadion.
von  Philipp Seidel
Beim Konzert herrschte Fotoverbot. Gitarrist Slash, hier 2019 bei Rock im Park in Nürnberg.
Beim Konzert herrschte Fotoverbot. Gitarrist Slash, hier 2019 bei Rock im Park in Nürnberg. © Jens Niering

München - Am Ende werfen Bassist Duff McKagan und Gitarrist Slash ihren Plektrenvorrat ins Publikum wie Brotbrocken bei der Entenfütterung. Bis zuletzt geben Guns N'Roses den rund 60.000 Fans, was sie verlangen und worauf sie wegen der Pandemie zwei Jahre lang warten mussten. Fast drei Stunden bringen die US-Rocker am Freitag das Olympiastadion immer wieder zum Kochen.

Guns N'Roses: Der Fluch des fortschreitenden Alters

Dabei war bis zum Vortag gar nicht sicher, ob die Band überhaupt spielen kann - der Auftritt in Glasgow am Dienstag war sehr kurzfristig abgesagt worden: Sänger Axl Rose musste seine Stimme schonen. Das ist der Fluch des fortschreitenden Alters - Rose ist inzwischen 60 - bei einem Werk, das für seinen markanten hohen Gesang berühmt ist.

Und manchmal, bei "Civil War" (die Bühne leuchtet dazu im Ukraine-Solidaritäts-Blau-Gelb) etwa mit seinen langen hohen Passagen, klingt der Sänger schon arg mickymausig. Insgesamt schlägt er sich aber recht gut durch die lange Nacht, stimmlich wie körperlich. Den Mikrofonständer wirft er immer noch ständig von sich, so dass immer wieder jemand zum Aufsammeln über die Bühne laufen muss wie der Balljunge beim Tennis.

Stimmschonender Start in München

Das Programm beginnt stimmschonend mit "It's So Easy" und "Mr. Brownstone" vom Sensations-Debütalbum "Appetite for Destruction" aus dem Jahr 1987, danach kommt "Chinese Democracy" vom gleichnamigen Und-darauf-haben-wir-so-viele-Jahre-gewartet?-Album von 2008.

Dann aber der erste der nicht wenigen Klassiker, mit denen Guns N'Roses Rockgeschichte schrieben: "Welcome to the Jungle" (dessen Schrei "You know where you are? You're in the jungle, baby!" die Bewohner des ostholsteinischen Örtchens Sipsdorf in einer Nacht in den 90er Jahren sehr oft hören musste - der Verfasser bittet nachträglich um Entschuldigung - man pubertierte, und Guns N'Roses waren der Jugend Sprachrohr).

Slash - der (nicht sehr) heimliche Star des Abends

Hier jedenfalls sind beim Intro alle Augen und Ohren auf den zweiten der drei verbliebenen Ur-Gunner gerichtet: Slash, immer noch mit schwarzen Locken unterm schwarzen Zylinder, ist der nicht sehr heimliche Star des Abends und der Band. Gitarristen tun sich halt leichter mit dem Alter. Und wenn sie dann noch Gitarren-Gold wie bei "Sweet Child o'Mine" spielen darf, ist das Spiel ja schon gewonnen.

Schlaksig wie eh und je

Bassist Duff McKagan darf seiner Punk-Lust frönen und das Stooges-Cover "I Wanna Be Your Dog" singen. Sonst steht er, immer noch schlaksig wie in den 90ern, stoisch da und ist versieht zuverlässig seinen Dienst. Was der haarige Hüne Chewbacca für "Star Wars" ist, ist McKagan für Guns N'Roses.

Der Abend bringt noch einiges vom Mammut-Doppelalbum "Use Your Illusion": das wuchtig-wütende "Double Talkin' Jive", das Wings-Cover "Live and Let Die", das gewaltige "Estranged" und "You Could Be Mine" (der Grund, warum damals alle "Terminator 2" im Kino sehen wollten und enttäuscht waren, weil das Lied nur so kurz vorkam).

Da kamen schönste 90er-Jahre-Gefühle hoch

Und dann natürlich "November Rain", das auch die Menschen gut finden, die Guns N'Roses und laute Musik eigentlich doof finden. Als man da auf der einen riesigen Leinwand Axl Rose am Flügel und auf der anderen Slash an der Gitarre sah, kamen schönste 90er-Jahre-Gefühle hoch.

Außerdem gab es "Slither" von der Slash/McKagan-Überbrückungsband Velvet Revolver - Guns N'Roses gibt es ja nicht ohne Auflösungen und Umbesetzungen. Derzeit sind noch Richard Fortus an der zweiten Gitarre, Keyboarder Dizzy Reed, Frank Ferrer am Schlagzeug und die Keyboarderin Melissa Reese.

Drei Guns N'Roses-Zugaben für München

Beim Dylan-Cover "Knockin' On Heaven's Door" (das viele Jüngere inzwischen nur noch von Guns N'Roses kennen) geht Roses Stimme immer wieder etwas verloren, dafür singt das Publikum brav mit. Die drei Zugaben steigern sich dann noch mal vom frühen Akustik-Schmachter "Patience" über das wuchtiger werdende "Don't Cry" bis zur Guns N'Roses-Hymne "Paradise City" vom Debütalbum.

Tragisch, wer da als Vorband spielen muss

Wer glaubt, die tragischen Figuren sind Rocksänger mit schwindenden Stimmhöhen, der lerne: Die tragischen Figuren sind die Musiker, die vor den alten Göttern spielen. Im Olympiastadion sind es die US-Hard-Rocker Dirty Honey und der amerikanische Blues-Rocker Gary Clark Jr., die tolle Auftritte hinlegen. Damit die wenigstens erwähnt sind.

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