Ein Ständchen für Benedikt XVI.
Der Papst sah mich lange durchdringend an“, berichtete Christian Thielemann. „Es ist nicht leicht, seinem Blick standzuhalten. Aber ich kann das!“ Aug’ in Aug’ mit dem Heiligen Vater – das ziert jeden Lebenslauf. Und so buhlten nach Joseph Ratzingers Wahl die hiesigen Orchester, dem einstigen Erzbischof von München und Freising ein Ständchen zu spielen.
Die Münchner Philharmoniker schafften es im Herbst 2005 als Erste. Damals war das Orchester der Stadt noch mit dem neuen Chef im siebten Himmel. Natürlich waren auch die Regensburger Domspatzen dabei, die zwischen 1964 und 1994 vom Papst-Bruder Georg geleitet wurden. Das Konzert mit Werken von Palestrina, Verdi, Wagner und Pfitzner fasste den „ganzen Ozean der Musikgeschichte in die Nussschale einer Stunde“ zusammen, wie Christian Ude seinerzeit poetisch formulierte.
Das Konzert wurde im Fernsehen übertragen und eilig auf DVD gebrannt. Denn ein Auftritt vor dem Musikfreund auf dem Stuhle Petri ist immer auch ein Geschenk, das man sich selbst macht. „Der Papst und der Vatikan haben als Marken mehr Einfluss als McDonald’s und Coca Cola zusammen“, sagte der damalige Philharmoniker-Intendant Wouter Hoekstra unverblümt. „Wenn das halbe katholische Deutschland die Aufnahme kauft, sind wir auf einem guten Weg.“
Nach dem Konzert in der an einen Sowjetpalast gemahnenden Audienzhalle des Vatikans war es allerdings nicht schwer, geistliche Intriganten zu treffen, die dem „roten“ Orchester der Stadt die Ehre missgönnten. Friedrich Kardinal Wetter soll vergeblich zugunsten der Symphoniker des Bayerischen Rundfunks interveniert haben.
Danach bekam der Papst Konzerte geschenkt wie andere Männer Krawatten und Socken. Auf die Philharmoniker folgten das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart und die Bamberger Symphoniker zum 80. Geburtstag des Musikfreunds, später noch das Gewandhausorchester, die Wiener Philharmoniker und Enoch zu Guttenberg. 2007 durften der Chor und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Oktober endlich Beethovens Neunte spendieren. Das war nicht leicht, denn päpstliche Hofschranzen fanden die Symphonie zu lang und fragten, ob eine Kürzung denkbar sei.
Schon damals wurde der Vatikan nicht alle Karten los, die in einem undurchschaubaren Verfahren an Diplomaten oder Nepoten kirchlicher Behörden gratis verteilt wurden und sie zu der seltenen Ehre berechtigten, direkt auf dem Petersplatz parken zu dürfen. Beim dritten Konzert eines Münchner Orchesters waren gut 1000 Plätze in der 6500 Menschen fassenden Halle frei, und das in seiner Papsttreue unerschütterliche Bayerische Fernsehen blieb auch fern.
Kent Nagano freilich wirkte trotzdem tief bewegt. Er führte mit dem Bayerischen Staatsorchester und der Audi-Jugendchorakademie Bruckners „Te Deum“ und dessen Neunte auf, die Professor Ratzinger in einer dem Segen jedes Mal vorangehenden Kurzvorlesung als Darstellung des irdischen und himmlischen Lebens deutete.
Dass dieses Vatikan-Konzert nach langjährigem Antichambrieren am päpstlichen Hof im Oktober 2011 noch zustande kam, verdankt sich allerdings vor allem der Beharrlichkeit einiger Musiker des Staatsorchesters. Dass diese ausgerechnet im 200. Jahr ihrer selbstverwalteten Akademiekonzerte belohnt wurden, war ein schönes Zeichen: Es ist immer gut, wie die Heilige Mutter Kirche an langfristigen Zielen festzuhalten.