Ein paar Takte Copacabana
Auf der neuen CD „Brazil“ tanzt das Quatuor Ébène lässig Bossa Nova – und kommt mit diesem Programm am 7. Mai nach München
Im Grunde fehlen nur noch die kreischenden Mädels. Das Streichquartettpublikum bleibt da ja eher bei den klassischen Verzückungsäußerungen, obgleich die beim Quatuor Ébène einen beträchtlichen Lärmpegel erreichen können. Doch wer weiß, was sich im Mai noch alles tut, wenn die Pilzköpfe der Kammermusik ihre Fans mit lässigem Copacabana-Sound umspülen. Mit Raphaël Merlin, dem Mann am Cello, sprachen wir über Bossa Nova, die richtige Balance – und Caipirinha.
AZ: Monsieur Merlin, spielen Sie Fußball?
RAPHAËL MERLIN: Ja, ja, ja.
Dann fiebern Sie bestimmt der Weltmeisterschaft in Brasilien entgegen?
Ich bin eher Spieler als Zuschauer. Zwischen sieben und 13 war Fußball für mich sehr viel wichtiger als die Musik... Aber Sie spielen jetzt auf unsere neue CD an?
Ja. Sie kommt zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt.
Besser könnte es nicht sein. Trotzdem ist es Zufall. Wir liebäugeln ja schon lange mit dem Bossa Nova. Und vor drei Jahren trafen wir auf die richtigen Leute. Stacey Kent war bereits bei der letzten Crossover-CD „Fiction“ dabei. Dann kamen ihr Mann, der Saxofonist Jim Tomlinson, dazu und Bernard Lavilliers. Er ist in Frankreich eine Instanz in Sachen Chanson und war lange auf Kuba, in Argentinien und Brasilien. Bernard kennt alles, Samba, Rumba, Tango… Für uns war das die Gelegenheit, unsere Bossa Nova-Träume in die Realität zu holen.
Auf der CD klingt alles leicht und lässig, als hätten Sie einen Caipirinha getrunken.
Merci bien, so soll es sein. Trotzdem stecken zwei, drei Jahre intensiver Arbeit drin. Wir haben viel diskutiert, ausprobiert... Jedenfalls hat es lange gedauert, bis wir mit dem Ergebnis wirklich zufrieden waren. Den Caipi gab’s also höchstens zur Belohnung.
Und wie bringen Sie sich in diese entspannte Copacabana-Stimmung?
Auf der CD „Fiction“ gab es bereits ein Stück – „Corcovado“ –, für das wir dieses spezielle Pizzicato und ein sehr leises Bogenspiel entwickelt haben. Wir müssen uns dafür nicht den Sand an der Copacabana vorstellen, es braucht vielmehr eine Idee vom Klang. Dem muss man sich nähern. Übrigens gibt es auf der CD auch Kalifornisches und Argentinisches mit Piazzolla. Oder „Smile“ von Charlie Chaplin. Brasilien bleibt aber zentral.
Brauchen Sie diese Ausflüge als Ausgleich zur „gewichtigen“ Klassik?
Auf jeden Fall. Das bringt uns immer wieder in die richtige Balance. Und die Erfahrungen fließen in unser klassisches Spiel ein. Im Grunde ist das alles nicht so weit voneinander entfernt. Oft gibt es Motive, Harmonien oder rhythmische Figuren, die einem Brahms-Gesang oder Passagen von Bartók oder Ravel nahe kommen. Auch die Spontaneität, die wir beim Improvisieren gewinnen, ist ein großer Vorteil, wenn man zum Beispiel Mozart oder Mendelssohn spielt.
Inwiefern hat Ihnen da Stéphane Grappelli geholfen?
Ihm war immer wichtig, den Druck auf den Bogen zu reduzieren, dazu kommt die Akzentuierung – Grappellis Stil ist da oft relativ nah an dem der Barockmusiker. Spannung und Entspannung funktionieren beim Swing fast nach den selben Prinzipien wie bei Bach. Als wir Haydn aufgenommen hatten – mit ganz wenig Vibrato – war in einigen Besprechungen zu lesen, wir würden auf Darmsaiten spielen. Sehr amüsant, denn das hat gar nicht gestimmt! Aber Sie sehen, es kommt immer viel mehr aufs Spiel als aufs Material an.
Wer gibt den Ton an?
Naturgemäß der Primarius. Trotzdem bestimmt er nicht alleine, auch nicht zu 50 Prozent. Jeder wird um die 25 Prozent geben. Das hängt aber auch vom Repertoire ab. Bei Beethoven hat Pierre, unser Primarius, immer sehr genaue Vorstellungen, bei Brahms sucht Mathieu geradezu obsessiv nach dem idealen Klang. Beim französischen Repertoire oder bei Bartók mische ich mich stark ein. Bei Mendelssohn, Schumann und den Romantikern, wo es sehr auf die Phrasierung ankommt, hat Gabriel konkrete Ideen.
Wie wichtig ist eigentlich der Abstand?
Wir arbeiten nun bald 15 Jahre intensiv zusammen. Das ist fabelhaft, aber jeder braucht auch sein Zuhause, die Familie, sogar das Alleinsein im Hotelzimmer. Man muss leben, träumen, sonst ist man irgendwann leer. Was wir erleben, fließt ja auch in gewisser Weise ins Quartettspiel mit ein. Wenn wir uns weiter entwickeln wollen, müssen auch Impulse von außen kommen. Wir verfolgen übrigens auch alle noch unsere eigenen Projekte.
Können Sie sich vorstellen, irgendwann wie die alten Herren vom Juilliard String Quartett zu musizieren?
Wer weiß, was das Leben bringt. Aber der Gedanke ist doch ganz schön.
CD: „Brazil“ (Erato);
Konzert: 7. Mai 2014, 20 Uhr, Herkulessaal, Karten Tel. 93 60 93