Ein großer Sprung nach vorn

Valery Gergiev, der designierte Chef der Münchner Philharmoniker, dirgiert ein von Protesten gegen die homophobe Politik des Präsidenten Putin überschattetes Strawinsky-Konzert im Gasteig
von  Robert Braunmüller

Vor der Philharmonie demonstrierten schwullesbische Aktivisten gegen die homophobe Gesetzgebung des russischen Präsidenten. Auch der städtische Kulturreferent Hans-Georg Küppers war gekommen. Zugleich nahm Stadtrat Thomas Niederbühl für die Rosa Liste das Angebot des Dirigenten Valery Gergiev zu einem Gespräch mit der schwulen Community an.

Gergiev wurde von der Stadt allerdings nicht als Russland-Erklärer engagiert, sondern als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker ab 2015. Die heftige Debatte um dessen widersprüchliche Äußerungen zur Homosexualität blieb auch während seines Konzerts im Gasteig gegenwärtig: Uniformierte Herren lauerten am Podium, um Störungen – wie zuletzt bei Gergievs Auftritt in London – zu unterbinden. Doch es passierte nichts.

Im Fußball und in der Musik fällt die Entscheidung beim Spiel, nicht in den Redeschlachten davor. Und damit sind wir beim Kern der Sache: Gergievs gehetztem Terminplan und dessen Auswirkungen auf seine Strawinsky-Interpretation. Die ist so gut, wie ein Konzert mit schwierigen Stücken nach zweieinhalb Probentagen sein kann. Nicht übel, aber mit Potenzial zur Steigerung.

Während draußen demonstriert wurde, feilte der Dirigent eine Stunde vor Konzertbeginn im Gasteig noch an Igor Strawinskys „Les Noces“. Gergiev hatte sich merklich um die „Symphonies d'instruments à vent“ bemüht, den sperrigsten Teil seines Programms. Das Bläserstück erklang trennscharf, aber es wurde deutlich, dass sich Gergiev mehr für Strawinskys Verwurzelung in der russischen Tradition interessierte, als für den kühn-kühlen Klang-Kubismus. Doch das ist legitim.

„Le Noces“ hat Gergiev – wie auf Youtube zu hören – in London mit einem Kammerchor klar und rhythmisch viel akzentuierter dirigiert. Die gewaltige Besetzung, bei der vom Programmheft verschwiegene Herren aus Bulgarien den von Andreas Herrmann einstudierten Philharmonischen Chor verstärkten, drängte die vier Klaviere und das Schlagzeug zurück. Deshalb tönte es mehr wie Carl Orffs „Carmina Burana“ – eine romantische Rettung ins Ungenaue.

Misslungen muss man leider auch die Aufführung der kurzen Kantate „Le Roi des étoiles“ für Männerchor und Riesenorchester nennen: Gergiev begann viel zu kernig, erzwang nie ein echtes Pianissimo und verfehlte so den Endzeit-Mystizismus des Stücks.

Bei der groß besetzten Erstversion der „Feuervogel“-Musik konnten die Münchner Philharmoniker mit ihren Pfunden wuchern: dem runden, schönen Streicherklang, ausgezeichneten Bläser-Soli und einem gelassenen Solo-Hornisten im Finale. All dies passte bestens zu Gergievs Ansatz, den exotischen Farbenreiz voll und satt schillern zu lassen. Der Schluss gelang kraftvoll, aber nicht – wie früher oft bei diesem Dirigenten – nur muskulär und brachial.

Wenn Gergiev seine Sprunghaftigkeit eindämmt und sich mehr Zeit nimmt, dann kann es ab 2015 was werden. Den nötigen Mut für ungewöhnliche Programme hat er in jedem Fall.

Noch einmal am Freitag, 20 Uhr, im Gasteig. Der Strawinsky-Zyklus wird im Mai und Juli fortgesetzt, Infos und Karten unter Tel. 93 60 93 und 98 55 00

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