Ein dunkeldeutsches Singspiel mit der Tonfolge A-F-D

München - Einst galt der Stadtteil im Südosten Münchens als ein "Glasscherbenviertel", heute genießt es einen guten Ruf als lebendiger Kiez.
Der Kampfruf, den der Regisseur, ehemalige Regie-Dozent der Theaterakademie und frühere Kurator der Opernfestspiele Cornel Franz für sein Projekt "Hotel Giesing" ausruft, lautet: "Das Viertel bleibt dreckig".
Das Wesen eines Hotels, zu dem das Kommen und Gehen gehört, ist das künstlerische Konzept. Das Utopia in der Heßstraße, das noch als Reithalle besser bekannt ist, bietet dafür einen weitläufigen Saal als Hotellobby mit mächtigen Clubfauteuils und prunkvollen Kronleuchtern.
Wut hält die disparaten 90 Minuten im Innersten zusammen
Hier kommen Überraschungsgäste vorbei wie am Abend der Uraufführung Rüedi Häussermann oder Christoph, Hans und Michael Well, die blasmusikalisch vom "Schweinsbraten für die Welt" singen.
Christian Stückl, der Intendant des Volkstheaters, und SZ-Theaterkritiker Egbert Tholl sprachen unter anderem darüber, dass es zur Zeit keinen Ort gebe, der mehr Sicherheit vor Viren biete als das Theater. Was die disparaten 90 Minuten im Innersten zusammenhält, ist Wut, die aber nicht auf die seuchenbedingten Einschränkungen der Kunst begrenzt ist.
Cornel Franz und der Komponist Markus Lehmann-Horn nehmen vor allem das Einsickern der Rechtspopulisten und Rechtsextremen in Politik und Kultur zum Anlass eines "dunkeldeutschen Singspiels".
AfD-Faktencheck mit Schauspieler Jürgen Tonkel
Das ist streckenweise große Oper, denn zum Klang eines Blechbläser-Quintetts singen die Sopranistin Sibylla Duffe und die Mezzosopranistin Maria Helgath Texte aus den Milieus von Pegida und AfD.
Das musikalische Material wird vor allem aus der deutschen Nationalhymne, Wagner-Opern und der absteigenden Tonfolge A-F-D gewonnen. Zu den für die Sprechpartien zuständigen Stammgästen gehören Bettina Ullrich und Jürgen Tonkel.
Ein mit Crowdfunding finanzierter Abend
Zum langen Finale trägt der beliebte TV-Schauspieler einen Faktencheck über die Versuche von AfD-Politikern vor, um Einfluss zu nehmen auf die Formen und Inhalte des subventionierten Theaters.
Zu diesem gehört dieser sehr bunte Abend zwischen Geschichte des Faschismus, gegenwärtigen Neonazis und irren Corona-Mythen nicht, denn er wurde mit Crowdfunding finanziert.
Es ist zu wünschen, dass noch der eine oder andere Euro für weitere Vorstellungen dazu käme, denn diese Wut tut gut.