"Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer" von Jan Müller-Wieland ist der Flop des Jahres

Die Uraufführung von Jan Müller-Wielands Oratorium „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“ mit Klaus Maria Brandauer im Gasteig
von  Robert Braunmüller

Die Münchner Philharmoniker spielten selbstverständlich unverstärkt. Auch der Philharmonische Chor und die Sopranistin Claudia Barainsky sangen ohne Mikros. Nur der Schauspieler Klaus Maria Brandauer brauchte eine technische Hilfe, um die Philharmonie am Gasteig mit seiner Stimme zu füllen.

Dagegen wäre nichts zu sagen, wäre die Verwendung eines Mikrofons mit einer künstlerischen Absicht zur Verbindung von Raum, Sprache und Musik verbunden. Oder mit zeitgemäßem Sounddesign, wie es in den Kammerspielen Alltag ist. Oder wenigstens auf dem technischen Stand des 21. Jahrhunderts, damit die Verstärkung nicht nach Blechdose klingt.

Aber all dies fehlte. Weil der Weltstar aus Österreich oft koboldhaft nuschelte, ging manches Wort unverständlich im Hall unter. Das ist auch deshalb ärgerlich, weil es nicht der erste Versuch des Orchesters der Stadt war, im Gasteig mit einem Sprecher zu arbeiten.

Öde und aufschneiderisch

Aber darauf kam es auch nicht mehr an. „Egmonts Freiheit oder Böhmen liegt am Meer“ von Jan Müller-Wieland war die ödeste und zugleich aufschneiderischste Uraufführung des Jahres. Der gebürtige Hamburger lehrt Komposition an der Münchner Musikhochschule. Seine Version des Egmont-Stoffs haut großmäulig auf’s Blech: Sie versucht Johann Wolfgang von Goethe zu korrigieren und Beethovens „Egmont“-Musik toppen. Mit diesem politisch engagiertes Antikriegs-Werk unter Verwendung von Texten Ingeborg Bachmanns wollte Müller-Wieland auch noch seinen Mentor Hans Werner Henze übertrumpfen.

Ein Psychoanalytiker könnte einen Ödipuskomplex attestieren. Müller-Wielands Musik tut keinem weh, außer den Ohren durch Lautstärke. Sie beschränkte sich darauf, den Text zu illustrieren: Wenn Ketten erwähnt wurden, rasselten sie im Schlagzeug. War die Rede vom Krieg, hauten 120 Musiker auf die Pauke. Zwischendrin klagte Klärchen zu expressiven Streicherkantilenen. Bei der Erwähnung des spanischen Königs Philipp II. wurde das Autodafé aus Verdis „Don Carlos“ zitiert. Hin und wieder brauste die Orgel. Doch keinen Takt lang interessierte sich dieses Auftragswerk der Münchner Philharmoniker für die besondere Klangtradition dieses Orchesters.

Müller-Wielands Oratorium schlägt einen Bogen vom Freiheitskampf der Niederlande zum Ersten Weltkrieg. Doch die Frage nach der politischen Verantwortung des Einzelnen blieb abstrakt. Mehr gut gemeint, als gut. Und worauf das Stück am Ende mit einer burlesken Schul-Szene von Karl Kraus wirklich hinauswollte, teilte sich auch nicht mehr mit.

Mehr Mut wagen

Die Philharmoniker sind stolz auf ihre Weltklasse. Warum erteilen sie Kompositionsaufträge so mutlos und provinziell? Brauchen wohlbestallte örtliche Hochschulprofessoren wirklich dieses Zubrot?

Apropos engagierte Musik: 1987 haben die Philharmoniker „Caminantes... Ayacucho“ von Luigi Nono uraufgeführt. Ein Werk, das einen politischen Standpunkt mit Emotionalität und einem persönlichen Stil verbindet. Es hat, was Müller-Wielands lärmigem Egmont-Oratorium vor allem fehlt: eine Haltung. Die Philharmoniker könnten es im Rahmen ihrer Traditionspflege ruhig wieder spielen.

 

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