Dota im Theater Leo17
Präzision, ja, das ist es vor allem, was Dota Kehr am Werk von Mascha Kaléko gefällt. Kein Wort sei in Kalékos Lyrik zu viel, alles ist pointiert, alles wunderbar verdichtet, stellt Dota auf der Bühne des Theater Leo17 im Kreise ihrer Band fest. Was sicherlich gut so ist, denn, wie Dota an anderer Stelle bemerkt: Etwas wegnehmen oder hinzufügen war ihr bei der Vertonung der Gedichte eh nicht erlaubt.
Ihre künstlerische Freiheit wurde offenbar dennoch kaum beschnitten: Welche Worte herausstechen, wie oft ein Satz wiederholt wird, welche Melodien und Rhythmen dazu kommen - dafür gab es keine Vorgaben, sondern es herrschte ein Laissez-Faire, das Dota mit hörbarer Spielfreude genutzt hat. Zwei CDs mit vertonten Kaléko-Gedichten hat sie herausgebracht, die jüngste heißt "In den fernsten der Fernen". Denselben Titel trug die Tournee, die nun im ausverkauften Leo17 zu Ende ging.
Pendeln zwischen Melancholie und Heiterkeit
Angesichts des Finales gab Dota sich kurz traurig, um dann umso fröhlicher weiterzuspielen. Das Pendeln zwischen Melancholie und Heiterkeit macht ja auch das Werk und die Biographie Kalékos aus: Als junge Frau im Berlin der 1920er entfloh sie dem drögen Büro-Alltag, indem sie an der Universität Abendkurse in Philosophie belegte und ihre ersten Gedichte schrieb. Als der Nationalsozialismus immer bedrohlicher aufdämmerte und sie als deutsche Jüdin mit einem Arbeitsverbot belegt wurde, emigrierte sie mit ihrem zweiten Mann und Sohn 1938 nach New York, wo sie weitere Gedichte schrieb.
Den Lebenslauf Kalékos referiert Dota im Laufe des Abends mit ein paar eingestreuten Sätzen, die Abfolge der Lieder orientiert sich aber natürlich nicht an der Erscheinungs-Chronologie der Gedichte. Stattdessen werden die Zuhörenden in ein gut austariertes Wechselbad der Gefühle geworfen. Die Spannbreite umfasst heitere Uptempo-Nummern wie "Sozusagen grundlos vergnügt", dem Dota den lautmalerischen Dialog eines Frosches mit einem Vogel als Refrain beifügt ("Ba-ba-baba-ba-baba"), bis hin zum dräuenden Suspense von "Der Fremde", bei dem die Nebelmaschine zum Einsatz kommt.
Ein Gefühl der Einsamkeit
Ob sie vom Fremdsein in einer feindlich gesinnten Dorfgemeinschaft oder dem anonymen Leben in der Großstadt schreibt - ein Gefühl der Einsamkeit durchdringt viele Gedichte Kalékos. Das lyrische Ich sehnt sich nach Kontakt, nach einem Partner zum gemeinsamen Allein-Sein. "Wie schön ist es, allein zu sein!", heißt es in "Die vielgerühmte Einsamkeit". "Vorausgesetzt natürlich, man hat Einen, dem man sagen kann: ,Wie schön ist es, allein zu sein!'" Der knappe Vierzeiler hat Dota zu einem entspannt groovenden Bossa-Nova-Stück inspiriert, bei dem die Band einsamkeitsvertreibend miteinstimmt.
Insgesamt passt Dotas eigenwillige Mischung aus Indie-Pop, Jazz und anderen Einflüssen kongenial zu den Texten Kalékos. Dazu erzeugt ihre Band, die um Wencke Wollny und Antonia Hausmann von der Gruppe Karl die Große ergänzt wurde, einen wunderbar eingespielten Klang. Präzision, ja, das macht auch Dotas Musik aus, und es ist erstaunlich, wie viele Einfälle sie zu den Texten Kalékos hatte. Dabei hat sie einige Songs auf den beiden Kaléko-CDs mit prominenten Musikern eingesungen. Beim Konzert kann die Berliner Liedermacherin sich hingegen auf den Gesang ihrer Bandmitglieder verlassen.
Am Ende franst der Abend aus
So erweist sich der Tenor von Schlagzeuger Janis Görlich bei "Sonett in Dur" als überraschend wohlklingend. Wencke Wollny und Antonia Hausmann, die eine auch versiert am Saxophon und der Bassklarinette, die andere an der Posaune, ergänzen Dotas Sopran ein aufs andere Mal. Wunderbar zum Beispiel, wie Wollny bei "Einem Kinde im Dunkeln" die von Dota gesungenen Zeilen wie ein Echo wiederholt - was den beruhigenden Effekt des Schlaflieds verstärkt. Oder wie beide bei "Ich und du" das Wort "Rendezvous" dehnen, die Tonart dabei wechselnd: "Ich und Du wir waren ein Paar/Jeder ein seliger Singular/Liebten einander als Ich und Du/Jeglicher Morgen ein Rendezvouuuuuus…"
Dass Dota im letzten Konzertdrittel noch einmal ein ganzes Set mit eigenen Liedern spielt, lässt den bis dahin konzentriert wirkenden Abend leider etwas ausfransen. Aber das Publikum ist beglückt und lässt sich sogar von den Sitzen reißen. Ein Herz für die Menschen, die am Rand stehen, hatte Mascha Kaléko. Dota widmet wiederum dem Tontechniker eine eigene, neu komponierte Hymne. Und ließ den Abend, die Tournee mit ihrem alten Hit "Rennrad" enden. Aber keine Sorge: Die nächste Tournee kommt bald.
Am 19. September tritt Dota mit ihrer Band in der Muffathalle auf. Karten unter www.muffatwerk.de
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