Dirigent Mariss Jansons über das Wagner-Jahr, seinen 70. Geburtstag und den Ernst von Siemens Musikpreis
Der Lette zählt längst zu den wichtigsten Dirigenten der Welt, ist dabei aber bodenständig und bescheiden geblieben. Seinen Geburtstag feiert er im „ganz kleinen Familienkreis“ in Sankt Petersburg – Empfänge oder Partys sind nicht geplant.
AZ: Herr Jansons, in Ihrem Alter genießen die meisten Menschen längst die Rente. Sie haben trotz gesundheitlicher Probleme im Prinzip gleich zwei anspruchsvolle Jobs. Können Sie nicht anders?
Mariss Jansons: Ich liebe meine Orchester, ich liebe meine Arbeit, ich liebe die Musik, ich liebe das Dirigieren. Und ich kann mir mein Leben ohne das Dirigieren nicht vorstellen. Das ist mein Leben!
Vor zehn Jahren, mit 60, haben Sie gesagt, die „goldenen Jahre eines Dirigenten“ seien die bis zum 70. Geburtstag. Was kommt jetzt?
Habe ich das wirklich gesagt?
Das habe ich zumindest gelesen...
Dann hat das jemand missverstanden oder falsch interpretiert. Das kann man so nicht sagen. Die besten Jahre eines Künstlers – das ist sehr individuell. dapd: Seit fast zehn Jahren sind Sie Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks.
Haben Sie mit dem Orchester erreicht, was Sie wollten?
In welchem Sinn? Qualitativ? Das ist schwer zu beantworten. Es ist doch nicht ein Gebirge, wo Sie sagen, da ist der Gipfel. Qualität kann man immer steigern, da gibt es keine Grenze. Zu sagen, wir haben alles erreicht, wäre nicht richtig. Wir haben wunderbar miteinander gearbeitet und sehr viel zusammen erreicht, sehr viele gute Konzerte gegeben, Tourneen und Aufnahmen gemacht. Aber das ist nichts Endgültiges. Das sind Entwicklungen.
Ihre Karriere ist reich an Höhepunkten. Sie haben zweimal das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker dirigiert, sind vor dem Papst im Vatikan aufgetreten, haben einen Grammy gewonnen. Gibt es für Sie persönlich ein Erlebnis, das heraussticht?
Nein, das kann ich nicht sagen. Natürlich gibt es besondere und spezielle Momente. Aber ich versuche, jeden Tag meine Arbeit zu machen, und das bringt mir Freude, manchmal auch Unzufriedenheit. Obwohl: Die Neujahrskonzerte, da kann man sich sagen, das ist wirklich etwas Besonderes, das ist eine Ausnahme.
In diesem Jahr werden Sie mit dem Ernst von Siemens Musikpreis geehrt. Ist das für Sie angesichts der vielen Preise, die Sie schon bekommen haben, überhaupt noch etwas Besonderes?
Absolut, das ist eine sehr große, ganz besondere Ehre. Das ist etwas ganz Spezielles für mich, absolut!
Ein großes Anliegen ist Ihnen, die Jugend an die klassische Musik heranzuführen. Haben Sie da noch Pläne für die nächsten Jahre?
Darum müssen wir uns immer kümmern, das müssen wir regelmäßig machen. Da kann man nicht sagen: 'Das machen wir für zwei Jahre oder fünf Jahre.' Es ist ein Prozess. Wir müssen der Jugend alle Möglichkeiten geben, klassische Musik zu genießen, sich der Klassik anzunähern. Das ist nicht leicht, denn Jugendliche haben vielleicht Angst vor der Klassik, sie finden das ein bisschen zu schwierig oder es ist für sie etwas, was sie nicht verstehen, etwas Fremdes. Wir müssen versuchen, alles zu tun, damit die jungen Menschen verstehen, dass klassische Musik jedem etwas ganz Besonderes bringt. Das ist keine leichte Aufgabe, aber es eine Pflicht für jeden Künstler.
In welchem Alter wussten Sie eigentlich, dass Sie die Musik zu Ihrem Beruf machen wollen?
Das ist schwer zu sagen. Ich glaube, unabsichtlich als ich vier Jahre alt war.
Weil Sie im Elternhaus immer von Musik umgeben waren?
Ja. Ich habe alte Fotos: Darauf spiele ich, dass ich Dirigent bin oder dass ich Klavier spiele – obwohl ich das mit vier noch nicht getan habe. Ich weiß nicht, was ich als vierjähriges Kind gedacht habe, aber ich glaube, das war eine sehr natürliche Entwicklung für mich, dass ich Musiker werde.
Sollte man Kinder schon in früher Kindheit an die klassische Musik heranführen?
Absolut – je früher desto besser. Je früher sie mitbekommen, was klassische Musik ist, desto besser ist es. Das bedeutet nicht, dass alle Musiker werden müssen. Aber sie sollten erleben, wie die Musik Emotionen und Assoziationen weckt. Das ist so wertvoll für die Seele und das Herz.
Sie haben wiederholt einen Werteverlust in der Gesellschaft, eine zu starke Konzentration auf das Materielle beklagt. Inwieweit kann die Musik dabei helfen, das zu überwinden?
Ich glaube, sehr stark. Es ist eine Nahrung, ein Mittel, das dem Menschen sehr viel für seine geistige Entwicklung gibt.
Also ist klassische Musik heute nötiger denn je?
Oh ja, absolut. Nicht nur klassische Musik, ich glaube auch Literatur, Kunst überhaupt. Alles, was mit geistiger Entwicklung zu tun hat, auch Religion. Das ist notwendig für unsere Gesellschaft. Sie haben recht: heute vielleicht mehr denn je.
Es ist viel die Rede vom Wagner- und Verdi-Jahr 2013. Spielen diese Jubiläen für Sie persönlich eine Rolle?
Was bedeutet ein Jubiläum? Ich dirigiere die Musik von Wagner und Verdi, und ich liebe sie als Komponisten. Für mich ist es immer eine Freude, diese Musik zu hören und zu dirigieren. Aber Jubiläen? Da kommt ein Jubiläum des einen, dann des anderen. Ich glaube, das bedeutet nicht, dass der Komponist im Jubiläumsjahr besser oder wichtiger ist als sonst. Seinen Wert bekommt er durch das, was er als Künstler und Komponist gemacht hat.
Wie zuversichtlich sind Sie, dass es mit einem neuen Münchner Konzertsaal, für den Sie seit Jahren kämpfen, noch klappt?
Das ist eine sehr schmerzhafte Frage, die schmerzt mich schon lange. Wie kann ich es formulieren... Ich habe noch Hoffnung. Wenn es nicht in Deutschland gelingt, wo kann das sonst gelingen? Obwohl – ich kenne sehr viele Beispiele, wo neue Konzertsäle in Städten gefördert werden, wo man es absolut nicht erwarten würde. Dort passiert es, und in einer Stadt wie München warten wir und warten und kommen zu keiner endgültigen Entscheidung. Das ist natürlich sehr schade.
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