Die Wiener Phiharmoniker mit Brahms im Gasteig
Eigentlich ist das eine „gmahde Wiesn“, wenn die Wiener Philharmoniker Brahms spielen. Die Vorgänger der heutigen Herren haben die beiden mittleren Symphonien uraufgeführt, und der schwelgerische Seelenton ist den Musikern aus Österreich eine in die Wiege gelegte Herzensangelegenheit. Das kann einfach nicht schiefgehen.
Lang war das berühmteste Orchester der Welt nicht mehr in München, nun gastierte es an zwei Abenden mit den vier Symphonien im bei hohen Preisen nicht ganz vollen Gasteig. Und wie immer setzte manches in Erstaunen: kernige Hörner, der wunderbar tragende und doch nie forcierte Klang der Flöten, die reichen Farben der Oboen und die warmen, dunklen Streicher. Und weil der Mann an der Pauke ein altmodisches Instrument verwendet, setzten seine Schläge nicht nur Akzente. Sie waren ein ganz eigener musikalischer Genuss.
Endlos wäre da zu schwärmen, hätte nicht einer gestört: der Dirigent Daniele Gatti. Am ersten Abend raubte er dem „Allegro con brio“ der Dritten das Brio. Nur ein gemütliches Lüftlein wehte da. Und dann näherte er auch noch die an sich gegensätzlichen Tempi der vier Sätze einander an. Das Herbe der Musik schwand, eine schwammige Selbstgefälligkeit dominierte. Die Schluss-Steigerungen der Sätze kamen nicht natürlich, sie wirkten gewaltsam herbeigezwungen. Und die nach der Pause folgende Erste war trotz vieler instrumentaler Schönheiten allenfalls eine rituelle Anbetung der Tradition, keine Interpretation.
Brahms ohne Eigenschaften
Was wollte Gatti? Überbordende Emotion am wenigsten. Die große Hingabe auch nicht. Kammermusikalische Schlankheit noch weniger. Dafür deckten die massiven Streicher viel zu oft das Blech zu. Über alles klanglich zu Trennende goss er einen zähen Sirup. Zum Verzweifeln.
Immer wieder schlichen sich auch allerlei Ungenauigkeiten ein. Viele Stellen der ersten Violinen kamen unschön scharf, Rhythmisches verlor sich im Ungefähr. Einen letzten Feinschliff hatte der Dirigent auch versäumt. Leider. So gab es jenseits der routiniert weitergetragenen Wiener Tradition nichts, was die Münchner Philharmoniker oder das BR-Symphonieorchester bei dieser Musik nicht genau so gut gespielt oder gekonnt hätten.
Der gleiche Eindruck wiederholte sich am zweiten Abend. Gatti dehnte den Kopfsatz der Zweiten. Die melancholische Heiterkeit der Symphonie, ihre reizvolle Widersprüchlichkeit verlor sich im grauen Ungefähr. Wie in jeder mittleren Aufführung strahlte das Allegro giocoso der Vierten nur matt. Immerhin: Das Passacaglia-Finale zog Gatti straff und wirkungssicher durch. Aber das macht noch keinen Brahms-Dirigenten für die Wiener Philharmoniker aus ihm.
Doch die Zugaben versöhnten: Am Montag das elegante Scherzo aus Felix Mendelssohn Bartholdys „Sommernachtstraum“, am Dienstag das Vorspiel zum dritten Akt der „Meistersinger von Nürnberg“. Da war es plötzlich da, das Wiener Wunder: wunderbare dunkle Streicher, ein getragener Bläser-Choral, zuletzt abgeklärte Melancholie. Eine bittere Ironie, dass ausgerechnet Richard Wagner nach einem Brahms-Programm die reinsten Glücksgefühle hervorrief.