Kritik

Die Toten Hosen im Olympiastadion: Das allerletzte "Wort zum Sonntag"

Die Toten Hosen haben am Samstagabend im Olympiastadion gespielt.
von  André Wagner
Festabend für Fans: Die Toten Hosen im Münchner Olympiastadion.
Festabend für Fans: Die Toten Hosen im Münchner Olympiastadion. © Jens Niering

München - Samstag, 25. Mai 1996. Bei Rock im Park im Münchner Olympiastadion goss es in Strömen. Dennoch spielten sich die Toten Hosen vor ausverkauftem Haus die Seele aus dem Leib.

Über ein Vierteljahrhundert später erinnert sich Campino noch ganz genau an diesen ersten Auftritt im Münchner Olympiastadion. Es ist nur eine von vielen Erzählungen aus der Vergangenheit, die der Sänger der Düsseldorfer Band mit seinen Fans teilt. Das Wetter an diesem Samstag zeigte sich mit und sommerlichen Temperaturen von seiner allerbesten Seite. Und die Toten Hosen dienen auch nicht mehr einem Headliner (1996 war es Sting) als Anheizer.
Mit "Schönen guten Abend München, habt ihr Bock auf Lärm", begrüßt Campino die 40.000 Fans im Olympiastadion. Es dauert keine zwei Songs, da haben die Düsseldorfer Rocker ihr Publikum fest gepackt, selbst auf der Westtribüne gibt es kein Halten mehr.

Hit-Salven im Olympiastadion

Bestes Wetter beim Auftritt der Toten Hosen in München.
Bestes Wetter beim Auftritt der Toten Hosen in München. © Jens Niering

Was folgt ist eine Hit-Salve: "Auswärtsspiel", "Altes Fieber", "Paradies". Das Olympiastadion kocht. Dominierte in den Anfangszeiten der Hosen bei Konzerten die zerrissene Jeans und ein gepflegter Irokese die Fanszene, kleidete sich der Anhänger heute eher mit Bermudashorts und Fan-Shirt.

Pikanterweise spielen die Toten Hosen am selben Ort, an dem 48 Stunden zuvor Die Ärzte aus Berlin vor knapp 25.000 Zuschauern abrockten. Viele Jahre pflegten die beiden Bands ein kleine verbale Privatfehde. Jahrzehntelang galt unter den Fans entweder Ärzte oder Toten Hosen, beides toll finden ging gar nicht.

Doch am Samstag gibt es sicherlich einige im Stadion, die schon am Donnerstag den Ärzten zugejubelt hatten. Einzelne haben sogar den Mut, beim Hosen-Konzert ein Ärzte-T-Shirt zu tragen.

Beste Stimmung im Publikum.
Beste Stimmung im Publikum. © Jens Niering

Dass die Toten Hosen auch nach 40 Jahren immer noch brennen und Lust auf Livekonzerte haben, beweisen sie an diesem Abend deutlich. Campino rennt die Bühne rauf und runter, als würde er für einen Halbmarathon trainieren. Mit "Bonnie & Clyde", "Liebeslied" und "Das ist der Moment" hauen die Hosen ihre Klassiker raus. Beim Song "112" steht plötzlich ein Fan auf der Bühne (wie auch immer er das geschafft haben mag) und setzt zum Stagediving mit anschließendem Crowdsurfing an – tja, dass sind eben die Toten Hosen und nicht Helene Fischer.

Campino in München in Plauderlaune

Dann wird es melancholisch. Campino spricht über seinen Vater und widmet ihm den Song "Draußen vor der Tür". Dann holt er eine Videokamera raus und erzählt was von Tour-Aufnahmen für ein Filmchen, das auf der Hosen-Weihnachtsfeier gespielt werden soll. Spielerisch gelingt es dem Hosen-Frontmann, das Publikum dazu zu bewegen, sich hinzusetzen. Als der gesamte Innenraum Platz genommen hat, beginnt Campino, mittlerweile bäuchlings auf der Bühne liegend, immer noch die Kamera in der Hand, mit den ersten Zeilen von "Steh auf, wenn Du am Boden bist".

Campino zeigte sich im Olympiastadion in Plauderlaune.
Campino zeigte sich im Olympiastadion in Plauderlaune. © Jens Niering

Campino präsentiert sich zwischen den Hits in Plauderlaune und schwelgt in Erinnerungen. Er erzählt vom Urlaub auf bayerischen Bauernhöfen, bei denen er die alten Lederhosen des großen Bruders auftragen musste, dem ersten Konzert der Hosen im Münchner Raum, 1983 in einem Club in Erding, bei dem sich die Band am nächsten Morgen mit zusammengeknoteten Bettlaken aus dem Fenster abseilen mussten. Und er offenbart seinen Neid auf die Münchner Eisbachwelle, die er, nach einem nächtlichen Besuch, ziemlich geil findet.

Und dann gibt es noch diesen einen ganz besonderen Moment. Nach eigener Aussage zum allerletzten Mal spielen die Toten Hosen ihr "Wort zum Sonntag" auf der Bühne. Warum? In dem Lied heißt es "Ich bin noch keine Sechzig und ich bin auch nicht nah dran." Tja, am Mittwoch feiert Campino seinen 60. Geburtstag.

In vierzig Jahren haben sich allerdings so viele Hits angesammelt, da kann man ruhig einen von der Setlist nehmen. Denn es folgten noch "Pushed again", "Alles aus Liebe", "Wünsch Dir was" und natürlich darf auch "Hier kommt Alex" nicht fehlen.

Die Toten Hosen im Olympiastadion: Die letzte Gänsehaut des Abends

Vor den Zugaben, bekommt Campino die – nach eigener Aussage – mieseste Weinschorle seiner gesamten Karriere ausgeschenkt, die er bereitwillig an einen Fan weitergibt, der die mindere Qualität des Getränks dann auch bestätigt.

Die Publikumsentscheidung zwischen "Bayern" oder "Zehn kleine Jägermeister" geht zugunsten des Magenbitters aus.. Doch nach zahlreichen Pfiffen und unter Protest von Campino, wird dann, trotz Wahlniederlage, doch noch "Bayern" zum Besten gegeben, es ist ja schließlich die alte Spielstätte des Rekordmeisters.

Zum krönenden Abschluss gibt es noch "Tage wie diese" und "Eisgekühlter Bommerlunder". Der schlussendliche Rausschmeißer "You’ll never walk alone" beschert die letzte Gänsehaut des Abends.

Hatten die Ärzte mit ihrem Auftritt am Donnerstag die Stimmungsmesslatte schon verdammt hoch gelegt, so überspringen die Toten Hosen diese mit Bravour.

Zwar sind die Düsseldorfer mittlerweile über vierzig Jahre unterwegs, doch die Toten Hosen wirken quicklebendig. Und sollte bei Campino, Breiti, Andi, Kuddel und Vom das Alte Fieber nicht absinken, dürfte der 32. Auftritt der Hosen in München mit Sicherheit nicht der letzte gewesen sein.

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