Die Musikbibliothek feiert ihren 111. Geburtstag
Wer heute die Räume der Städtischen Musikbibliothek im Gasteig an der Rosenheimer Straße betritt, wird zunächst einmal die luftige Helle und die angenehm gedämpfte Atmosphäre genießen. Dann kann sich jeder, ganz ohne Schwellenangst, an die freundlichen Damen und Herren an der Infothek wenden, geschultes Personal, das beileibe nicht nur dabei hilft, all die in den Regalen lagernden Schätze aufzufinden. Es werden schon auch einmal Tipps gegeben, welche Schlager zur Feier von Omas 90. Geburtstag zu empfehlen sind.
Nur diejenigen Musikfreunde sind seltener geworden, die noch vor Ort vorpfeifen oder gesanglich verdeutlichen, welchen Ohrwurm sie neulich im Radio gehört haben. Dafür gibt es mittlerweile das Internet. Von dort aus kann man auch mittlerweile bequem recherchieren und von zu Hause aus bestellen, was man dann im Erdgeschoss des Gasteig abholt.
Vor genau 111 Jahren, als die Musikbibliothek in der Amalienstraße gegründet wurde, befand sich der Nutzer noch in einer anderen Situation. Er stellte sich an eigens dafür eingerichteten Schaltern an, sprach dort persönlich vor und bekam, nachdem er auf Herz und Nieren gründlich geprüft worden war, je nach dem festgestellten musikalischen Reifezustand an Partituren zugeteilt, was ihm auch wirklich zugetraut wurde.
Da sind durchaus angehende Wagnerianer statt mit Klavierauszügen mit Streichquartetten Joseph Haydns nach Hause gegangen, nicht ohne Auflage, sich wieder zu melden, sobald sie mit diesen zurande gekommen sind. Bettina Wolff, die Leiterin der Musikbibliothek, muss lachen, als sie aus den Gründungsjahren der heute beliebten Institution erzählt. Eine solche gut gemeinte Bevormundung wäre heute undenkbar.
Gegründet von einem Idealisten
Was über hundert Jahre später ein wertvoller, dabei erschwinglicher Service für Musikinteressierte ist, war kurz nach der Jahrhundertwende eine ernste Aufgabe. Paul Marsop hieß der strenge Bibliotheksgründer, 1856 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren, ab 1881 in München, gestorben 1925, Schüler von Hans von Bülow, hochgebildeter Schriftsteller – und Idealist. Er selbst stiftete gut 2000 Partituren aus seiner Privatsammlung, um den Grundstock für die Musiksammlung zu legen.
Die Noten sollten auch von Anfang an ausleihbar sein. Denn der „Schützling“, so formulierte es Marsop 1911, erfährt nicht nur Anregungen durch das Studium der klassischen Partituren, sondern wird dadurch auch an die „Häuslichkeit gebunden“: Er wird praktischerweise auch gleichzeitig vom „Besuch der Kneipe, des anrüchigen Tanzbodens, des Tingeltangels, kurz vom Herumlumpen“ abgehalten.
Die Idee der Volksbildung, also der Verfügbarkeit von musikalischer Hochkultur auch für jene Schichten, die sich keine teuren Notendrucke leisten konnten, brachte auch ein klares Wertesystem mit sich: „Musik-Schundliteratur“ sollte nicht verbreitet werden, in Marsops eigenen Worten: „Wer in der Bücherei das ,Dreimäderlhaus‘ oder die ,Csardasfürstin‘ verlangt, muss 777 Mal auf Erbsen knieend ,Mozart‘ sagen; im Wiederholungsfalle wird er postwendend auf eine von Kannibalen bewohnte Südseeinsel abgeschoben“.
Schätze im Depot
Für die „Csardasfürstin“ wäre Marsop heute wohl dankbar. Schwer vorstellbar, was er zu Bob Dylan gesagt hätte. Besonders oft nachgefragt werden heute – neben Klavierauszügen, Partituren und verlässlicher Ausgaben klassischer Musik – Noten aktueller Pop-Songs, Filmmusik zum selbst Nachspielen und Schul- und Übungsmaterial für Klavier und Gitarre. Natürlich haben auch die Medien, CDs und DVDs größtes Gewicht bekommen.
Die meistausgeliehene CD stammt vom eben genannten Rock-Sänger und Literaturnobelpreisträger Dylan, den Platz des traurigsten Flops nimmt mit null Ausleihen in gut zwanzig Jahren eine CD mit Klavierwerken Theodor Kirchners ein. Doch was sind schon solche Hitlisten angesichts eines der größten Schätze der Musikbibliothek, nämlich dem Bestand von Autographen aus der Hand von Johannes Brahms (Klarinettentrio op. 114), von Richard Strauss (Particell und Partitur zu „Feuersnot“) und darüber hinaus von Max Reger und Hans Pfitzner? Auch diese selten gezeigten Manuskripte werden während der Jubiläumswochen zu den üblichen Öffnungszeiten der Bibliothek gezeigt.
Der Status einer Musikbibliothek verändert sich natürlich gerade in Zeiten, in denen das Internet große Teile des rechtefreien Repertoires allgemein zugänglich macht. Doch gab es bislang keinen Nutzungsrückgang aufgrund von Online-Angeboten. Bei 921 384 Besuchen und 408 264 Entleihungen im vergangenen Jahr scheint es im Gegenteil eher so, als ob sich die Musikfreunde wieder zum Notenstöbern, Musikhören, Filme gucken und sogar Klavierüben (mit Kopfhörern) im Gasteig einfinden, je stärker der Trend zur Vereinzelung vor dem Rechner wird.
In dieser Bedeutung wird die Musikbibliothek auch weiterhin ein Ort bleiben, an dem sich Gleichgesinnte treffen und Musik zu jener frei zugänglichen Sache für alle Interessierten machen, die sie vorher eigentlich nie war.
Weitere Informationen gibt es unter www.muenchner-stadtbibliothek.de. Die Öffnungszeiten sind: Montag bis Freitag von 10 bis 19 Uhr sowie Samstag von 11 bis 16 Uhr
Das Jubliäumsprogramm
5. bis 19. November
Ausstellung: Schätze aus dem Archiv, Ebene 1.1
Handschriften und Rara-Noten von Komponistinnen und Komponisten wie Johannes Brahms, Richard Strauss, Max Reger, Hans Pfitzner, Mary Wurm und Kurt Brüggemann, Einblicke in das Knappertsbusch-Archiv und in andere Sammlungen
5. November, 12 Uhr
Chormusik mit dem Pasinger Madrigalchor, Ebene 1.1
7., 9., 10. November, 12 Uhr
Kinofilme mit Musik, Ebene 0.1
8. November, 17 Uhr
Ethno-Jazz mit Peter und Roman Grochol und Youssou Ndiaye, Ebene 0.1
9. November, 17 Uhr
Kammermusik mit Henrik Wiese, Uta Zenke-Vogelmann und Lukas Maria Kuen vom BR-Symphonieorchester
10. November, 20 UhR
Kammermusik von Max Reger, mit Studierenden der Musikhochschule, Kleiner Konzertsaal