Die komplette Zerstörung: Dicht & Ergreifend liefert in München Party bis zum Abwinken
"Des werd wuid", sagt ein junger Mann mit Rastazopf und Häkelmütze zur Verkäuferin am Bierstand. "Da brauch ma a bisserl an Treibstoff. Vier Helle dad i nehma. Schee koit." Das Publikum besteht zu großen Teilen aus bayrischen Menschen, die Stimmung ist euphorisch, die Erwartung hoch und die Becher sind voll.
Es vermischen sich urbane Münchner Legenden wie der Küchenchef vom Gasthaus Obacht, der Kabarettistin Claudia Pichler und der Wirt der Weinbar Griabig neben zahlreichen lässigen Gestalten, die sich vor Beginn der Show zu alpenländischem Hiphop vom Band schon mal so richtig schön eingrooven.
Dicht & Ergreifend in München: Plötzlich im Monty-Python-Kostümfilm
Pünktlich zur Primetime um 20.15 Uhr wird auf der Leinwand ein sehr lustiges Video von misslungenen Dreharbeiten zu diversen Musikvideos in Wüstengegenden gezeigt, dann erscheinen auf der Leinwand die Worte: "Herzlich Willkommen zum 'Es werde dicht' Finale."
Ein karges Bild einer verlassenen Gegend erscheint, in der Ferne sind Allianz Arena und BMW-Museum zu erkennen. Eine bunt gekleidete Frau düst mit einem E-Roller über den vorderen Bühnenrand, steigt ab, holt sich eine Zigarette aus der Tasche, aber, oje – das Feuerzeug funktioniert nicht. Was macht sie? Sie ruft bei einer künstlichen Intelligenz an, die ihr allerdings nicht hilft, sondern sie auf computergenerierten Bairisch "rund" macht und das arme Geschöpf wieder mit ihrem Gefährt in die Pampa schickt. Dann wendet sich die weibliche Stimme der künstlichen Intelligenz an die Zuschauerschaft und sagt: "Oiso, vui Spaß, Ihr Haubntaucha!"
Der Vorhang fällt. Drehende Sterne auf Säulen, Palmen, peitschende Klänge, hallende Beats, die beiden Frontmänner George Urkwell und Lef Dutti haben sich als Beduinen verkleidet, andere orientalisch maskierte Menschen laufen durcheinander wie in einem Monty-Python-Kostümfilm, ein halb aufgepumpter Kinder-Strandball wird von den Händen der Fans durch die Halle befördert, Knallbonbons explodieren und lassen bunte Stoff-Exponate über den Köpfen schweben.
"Wer is kumma, um sich komplett zu zerstören?"
Das Motto von Konzerten der "Dichtis", das wissen sämtliche Anwesende, lautet: Party bis zum Abwinken. Deshalb stellt George auch gleich zu Beginn die Frage: "Wer is kumma, um sich komplett zu zerstören?" Die Antwort ist ein zustimmender, jubelnder Geräuschbrei.
Lef möchte wissen, ob der Geschlechteranteil ausgeglichen ist und bittet erst die Damen, dann die Herren, durch den Klang ihrer Stimme hier einen Anhaltspunkt zu bieten. Die Frauen sind eindeutig lauter, was die Band freut: "Stellts euch des amoi vor. Rappende Cis-Männer hams gschafft, dass mehra Frauen da san ois Männer", worauf folgerichtig der feministische Song "Viva la Vagina" folgt: "I war so gern a Frau, um mal zum seng, wia des so is, wenn ma bloß oglotzt werd." Die Hände im Publikum machen die umgekehrte Merkel-Raute als Symbol für Weiblichkeit.
Auf einmal stehen Mutter und Tante auf der Bühne
Nun gibt es eine Überraschung: Die Mutter von George Urkwell sitzt samt ihrer Schwester in den vorderen Rängen. Die Fans bilden ein Spalier zum Podium, durch das Mama und Tante zu den Klängen von "Mama, sperr dei Wirtshaus zua" nach vorne flanieren und auf dem aufgebauten Wüstensolarium Platz nehmen. Als das Lied vorbei ist, werden sie gleich wieder zurück auf ihre Plätze geschickt: "Des is unsere Bühne!"
Immer wieder erfreut die grandiose Licht- und Tonausstattung des Circus Krone, die Techniker im Hintergrund zaubern leuchtenden Glanz oder auch mal Carl-Barks-mäßige Schattensilhouetten hervor, während die Musiker grandios agieren. Goldie Horn beweist wieder einmal, dass ihr Tubaspiel das groovigste weit und breit ist, und DJ Spliff lässt die Nadel in der Rille der Schallplatten fetter denn je erzittern; ab und zu schwebt er nach unten und legt eine saubere Rap-Einlage ein.
Influencerin auf der Bühne sorgt für Verwirrung
Einzig verwunderlich ist eine Influencerin, die bei fast jeder Nummer mit ein oder zwei Smartphones zwischen den Auftretenden herumgeistert und mitfilmt. So ganz erschließt sich ihre Rolle während der Show nicht, vielleicht wurde sie engagiert, um Material für die sozialen Netzwerke zu generieren oder sie ist einfach nur ein Fan, den die generell sehr entspannten Mitglieder von Dicht & Ergreifend gewähren lassen.
Ein Highlight jagt das nächste, der Hit "Bierfahrerbeifahrer" lässt das Stimmungsbarometer bis zum Anschlag hochsteigen, die Belastbarkeit der Leber schwärmender Anhänger wird heftig unter Beweis gestellt, während ein als Dinosaurier verkleideter Musikant zum Song "Zipfeschwinger" den "weltweit ersten Dixiklo-Stagedive" erprobt und wohl ausbalanciert aus der geöffneten Toilettentüre ein Quetschnsolo zum Besten gibt, die bunte Rollerfahrerin das Volk mit einer Spitzpistole wässert und ein anderer mit einer Plexiglaskanone Tour-T-Shirts in die Menge schießt.
Ein durch und durch gelungener Abend, der in einem hüpfenden, triumphalen Finale im gleißenden Stroboskoplicht ein würdiges Ende findet.