Die Johannespassion unter Herbert Blomstedt

An sich ist es ja bewundernswert, dass Herbert Blomstedt im hohen Alter noch auf dem Laufenden ist. In seiner Aufführung der Johannespassion von Johann Sebastian Bach übernimmt er die herrschenden stilistischen Konventionen, die historische Informiertheit demonstrieren sollen: Das dünn besetzte Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks streicht ohne belebendes Vibrato, um Alte Instrumente zu imitieren, die Artikulation ist kurzatmig, die Dynamik nicht allzu breit.
Damit handelt sich Blomstedt, der in diesem Sommer 90 Jahre alt wird, aber auch die üblichen Probleme ein: Der stumpfe Streicherklang lässt überdeutlich hervortreten, wenn melodische Linien nicht gemeinsam abgeschlossen werden und somit ausfransen.
Noch mehr an Klang geht in den Rezitativen verloren, weil nach aktueller Mode die begleitenden Akkorde nicht ausgehalten werden. Der Notentext selbst widerspricht dieser Praxis, sie wurde nie nachgewiesen, und sie ist im akustisch präzisen Herkulessaal für die Sänger unnötig anstrengend.
Unrunde Besetzung
Mark Padmore als Evangelist kommt damit zurecht, jedoch bringt er mit seinem zarten, engen Tenor und seiner Neigung zum empfindelnden Flüstern eine seltsame Stimmung in die Evangelisten-Partie.
Wie man ein phänomenales Piano in der Höhe zu fast dramatischer Wirkung treibt, zeigt Andrew Staples in den Tenor-Arien. Der Jesus Christus von Peter Harvey bleibt blass, dafür gestaltet Kresimir Strazanac die Bass-Arien kantabel und mit schwarzem Ernst. Der Chor des Bayerischen Rundfunks ist mit gut 40 Köpfen überschaubar gehalten. Michael Gläser hat ihn durchsichtig einstudiert, doch die Bässe sind unterrepräsentiert und jene Farbstärke und Durchschlagskraft, für die Gläser eigentlich berühmt ist, will sich nicht einstellen.
Zwei Damen retten den Abend
So bleiben die gesanglichen Höhepunkte den beiden Damen vorbehalten, dem materialreichen und konturierten Mezzosopran von Elisabeth Kulman und dem herrlich timbrierten und inbrünstig leuchtenden Sopran von Anna Prohaska. Nur die Solisten der Arien sind es also eigentlich, die in dieser Aufführung sinnlich expressive und hoch emotionale Musik machen, ohne stilistisch allzu eng eingeschränkt zu sein.
Es ist schade, dass sich der so vielseitig erfahrene Herbert Blomstedt so einseitig an die heutige Konvention anlehnt.
Das Konzert ist online nachzuhören auf br-klassik.de