Die heiße Sophie in prima Klima
Anne-Sophie Mutter mit Tschaikowskys Konzert für Violine und Orchester in der Philharmonie
Wenn Peter Tschaikowskys Violinkonzert auf dem Programm steht, unterdrückt der berufsmäßige Konzertbesucher ein „Nicht schon wieder!“. Zu oft wird dieses Stück nur technisch makellos gespielt und über der virtuosen Geste eine Interpretation vergessen.
Wenn Anne-Sophie Mutter das erste Solo spielt, sind solche Bedenken rasch vergessen. Man hält den Atem an und staunt, wie diese Geigerin den Farbenreichtum ihres Instrument einsetzt, um den romantischen Ausdruck persönlich zu empfinden. Sie nimmt die Tempi frei, lässt die Musik auch einmal fast stillstehen. Obwohl jede Note mit Bedacht erwogen wurde, stellte sich nie der Eindruck des Inszenierten und Gewollten ein.
Die Canzonetta des zweiten Satzes verwandelte Mutter mit dem sehr bewusst eingesetzten Dämpfer zu einer nächtlich-fahlen Serenade vor einem düsteren Gewitterhimmel. Leider hatte die Flöte des einfühlsam begleitenden London Philharmonic Orchestra nicht den Mut, ihr ebenso leise zu antworten. Im Finale erstaunte die Geigerin mit wilder, stampfender Kraft. Dann wurde diese reife Interpretation des Konzerts, die Tschaikowsky so ernst nahm wie Brahms, von der ausverkauften Gasteig-Philharmonie angemessen bejubelt.
Ähnlich farbig spielte die Geigerin noch einen Satz von Bach – als ergreifende Trauermusik für den verstorbenen Dirigenten Colin Davis, dem Yannik Nézet-Séguin in einer kurzen Ansage vor dem erfreulich zurückhaltend gespielten Vorspiel zu Mussorgskys Oper „Chowantschtschina“ widmete.
Nach der Pause war unüberhörbar, wie sehr der kanadische Dirigent bei Sergej Prokofjews Symphonie Nr. 5 auf das Grimmige, Schroffe und in der großen Steigerung des ersten Satzes auf den panischen Schrecken hinauswollte. Nézet-Séguin suchte sozusagen nach dem Schostakowitsch hinter Prokofjews Maschinenmusik.
Das überzeugte als Interpretation, aber es ging künstlerisch nicht ganz auf, weil das Blech einen schwachen Abend hatte. Der Klang des Orchesters blieb immer etwas schwammig. Es mag sein, dass die Musiker mit der Gasteig-Akustik nicht zu Rande kamen. Aber es war erfreulich, dieses früher oft gespielte, in letzter Zeit aber vernachlässigte Werk wieder einmal zu hören.
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- Johannes Brahms