Kritik

Die größte Nacht des Pop

Netflix zeigt in einer unterhaltsamen Doku, wie der Song "We Are The World" entstand
von  Volker Isfort
Michael Jackson (links) und Bob Dylan, der in der Studionacht mit Problemen zu kämpfen hatte.
Michael Jackson (links) und Bob Dylan, der in der Studionacht mit Problemen zu kämpfen hatte. © Netflix

Die Briten hatten 1984 mit der Band Aid um Sting, Bono, George Michael, Bob Geldof und viele andere vorgelegt und mit dem Song "Do They Know It's Cristmas" Geld gesammelt, um den Hunger in Afrika zu bekämpfen.

Wieso aber sollten nur weiße Menschen für Afrika aktiv werden, dachte sich der amerikanische Produzent Ken Kragen und startete 1985 ein ähnliches Projekt auf der anderen Seite des Ozeans. Das Ergebnis, "We Are The World", kennt jeder. Wie aber innerhalb von einem Monat aus einer Idee das größte Zusammentreffen amerikanischer Superstars in einem Studio werden konnte, erzählt nun die überaus sehenswerte Doku "The Greatest Night in Pop" von Bao Nguyen auf Netflix.

Stevie Wonder ging nicht ans Telefon 

Kragens Schützling Lionel Richie und Michael Jackson waren schnell einverstanden, konnten aber lange Stevie Wonder nicht erreichen, der eigentlich den Song schreiben sollte. Als mit Harry Belafonte und Ray Charles weitere Säulenheilige an Bord waren und Produzentenlegende Quincy Jones als musikalischer Kopf gewonnen war, wurden auch weiße Künstler kontaktiert. Und (fast) alle machten später mit, von Bruce Springsteen bis Paul Simon und Cyndi Lauper.

Das Problem war, dass es nur eine Nacht für die mögliche Studioaufnahme gab, die Stunden nach den Music-Awards, eine Show, die alle Größen nach Hollywood lockte. Das zweite Problem: Nichts durfte nach außen dringen. Das dritte Problem: Auch zehn Tage vor der geplanten Aufnahme gab es für das Geheimprojekt noch keinen Song. Lionel Richie und Michael Jackson schufen schließlich einen Popsong, dessen Refrain eine Hymne zum Mitsingen für alle sein sollte. Und Lionel Richie erzählt vier Jahrzehnte später in der Doku von seiner Erleichterung, als Quincy Jones mit der Songidee zufrieden war.

Der Countdown zur langen Nacht der Superstars 

Bao Nguyen strukturiert den Film als spannenden Countdown auf den Tag X. Lionel Richie, der auch die Awards moderierte, dort selbst vier Songs sang und in etlichen Kategorien gewann, bleibt auch die ganze Nacht im Studio der Mann dessen offenbar unerschöpfliche positive Energie das Projekt zusammenhält.

"Egos bitte vor der Tür lassen", hatte Quincy Jones auf ein Schild vor dem Aufnahmesaal geschrieben. Aber es war vor allem die Rede des gerade aus Äthiopien zurückgekehrten Bob Geldof, der die Superstars emotional auf die Bedeutung der Nacht einstimmte. Und dann begann der Wettlauf gegen die Zeit, denn nach der Studionacht würden sich alle wieder in alle vier Winde zerstreuen.

Man kann sich gar nicht sattsehen an den staunenden Gesichtern im Superstar-Flohzirkus, den kleinen Frotzeleien und Reibereien um Texte und Gesangsparts und staunt, als ein Mann im Raum bei seinem Solopart plötzlich völlig neben der Spur ist. Bob Dylan hatte damals nicht seine beste Phase und wird schließlich von Stevie Wonder gerettet. Der nämlich singt ihm vor, wie er seinen Part zu intonieren habe. Und so klingt Dylan in der Endversion wie Stevie Wonder, der Bob Dylan imitiert.

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