Die größte Italo-Schlager-Party jenseits der Alpen: Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys in München

Mama Mia! Jetzt ist München wirklich die nördlichste Stadt Italiens. Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys veranstalteten bei ihrer Kult-Tour die größte Italo-Schlager-Party, die es jemals nördlich der Alpen gab. Mit ihrem Mix aus 80er-Jahre-Synthie-Pop und klassischen Schlager-Hymnen, garniert mit einer Prise ironischer Selbstinszenierung und Pathos, lag "Bella Napoli“ oder die "Ponte de Rialto“ direkt an der Isar. Doch ist die Gute-Laune-Fassade wirklich so makellos, wie es die schneeweißen 80er-Jahre-Outfits zeigten? Oder standen in der Olympiahalle sechs Jungs mit "deutsche Vita“ und den Herausforderungen, die ein Mega-Erfolg mitbringt, auf der Bühne?
Ein nervöser Frontmann
Front-Sänger Bianco, der mit blonder Günther-Netzer-Frisur und ausschweifenden Schlagergesten durch den Abend führte, rettete sich anfangs mit einigen zu lang geratenen Zwischenansagen über die Nervosität, bis bei "Santorin“ die Party startete und der Ton besser wurde. Bei "Bardolino“ stolzierte er über ein Laufband, das in die Bühne eingelassen wurde und bei "Quanto Costa“ zeigte er seinen heißen Hüftschwung.

Ihm zur Seite stand Die Abbrunzati Boys (nur eine Person) an der Gitarre. Er brachte den 80er-Jahre-Sound bei "Disco Rimini“ oder Akustik-Klänge bei "Baci“ mitten in den Fans auf dem Oberrang dazu. Der vermeintliche Plural wurde von der Showband um Ralph Rubin (Keyboard), Eisensepp (Bass), Bungo Jonas (Schlagzeug) und Blechkofler (Trompete) komplettiert. Sie schufen ein Klangbild zwischen Kitsch und Kult.
Heimspiel für Signori vom Gardasee?
So ganz glauben konnte es das Sextett wohl selbst nicht, was sie mit ihrer Schlager-Persiflage ausgelöst hatten. Immer wieder blickten die Show-Profis (die rappelvolle Hallen und Festival gewohnt sind) ungläubig auf die Ränge und verteilten Handküsse an die 12.000 Fans und Freunde. Eine ungewöhnlich lange Schlange an der Gästelisten-Kasse deutete den Heimspiel-Faktor bereits vorab an. Doch Moment: Heimspiel? Für die Signori? Die vorgetragene Bandgeschichte sagte doch, dass sich die Herren (alle um die 30) in den 80er Jahren in Sirmione am Gardasee zusammenfanden und die Schlager-Welt eroberten.

Einige Fans behaupteten steif und fest, dass auf der Bühne eine Gruppe Indie-Musiker aus Bayern stand, die ihre Karriere 2016 auf Hochzeiten und Stadtfesten begannen. Die AZ konfrontierte die Sänger vor dem Konzert mit den Gerüchten: "In Augsburger Kneipen und Münchner Clubs bekamen wir die kleinen Bühnen, die wir brauchten, um genau das hier zu erreichen. Das macht uns stolz und wir sind jeden Tag dankbar für diesen wahrlich olympischen Aufstieg“, gab Bianco zu.
Circle Pit zu "Bella Napoli"
Wo nun die Wahrheit lag, ist eigentlich egal. Denn Legende und Realität sind längst zu einem tanzbaren, rhythmus-stampfenden Schlagerbrei verschmolzen. Eine Nische ist zur Massenunterhaltung und zum größtmöglichen Heimspiel geworden. Die ironische Bandgeschichte schreibt die Texte über "Sophia Loren“ oder "Weiße Rosen“ auf der Projektionsfläche Italien. Mit einem bewusst überdrehten Retro-Charme, der gleichermaßen amüsant wie mitreißend war. Darauf lagen dramatische Trompeten und funky Synthesizer, klebrig, heiß und verschwitzt wie Badegäste am Strand von Rimini. Trotzdem steckte viel Liebe im Detail und das Genre bekam so einen ungewöhnlichen, aber ansehnlichen Rahmen. Trash-Talk oder Lästereien über das Urlaubsland? Fehlanzeige. Gut so.

Doch eine so große Show brachte neue Herausforderungen. Vor der Bühne ging es zu wie im alten Alpha auf der "Brennerautobahn“. Es wurde von hinten mehr gedrängelt, als man sich das vor dem Start gedacht hatte. Viele Besucher hatten sich vorab schon mit einem Glas "Vino Rosso“ zu viel fahruntüchtig getrunken. Fans beschwerten sich nach Konzerten auf der Tour über das rabiate Geschubse im eigentlich entspannt gedachten Schlagerstrudel (eine Art milder Circle Pit) beim größten Hit "Bella Napoli“ oder der Wand der Begegnung (eine abgeschwächte Wall of Death) bei "Velocità“. Teilweise kreiselte fast der gesamte Stehplatzbereich, Bier-Dusche und Stage-Diving inklusive. Bianco redete sich zwischendurch in Rage: "Wer sich hier nicht richtig aufführen kann, ist nicht erwünscht. Es geht hier um Unterhaltung mit Haltung. Die verlangen wir auch von unseren Fans.“ Die Band hatte schon vorher bei Social Media und mit Plakaten vor der Halle auf die Verhaltens-Regeln hingewiesen.
Eine kluge Setlist mit ruhigen Zwischen-Songs und ein eigens eingerichteter Awareness-Raum unter der Haupttribüne gaben immerhin die Chance zum Luftholen. Und ist noch Luft nach oben für die Möchtegern-Italo-Herren? Vielleicht geht es irgendwann zum ESC. Die Europahymne spielte jedenfalls schon vom Band vor der Zugabe …