Die erste Aufnahme: Hengelbrock dirigiert Brahms
Das NDR Elbphilharmonie Orchester spielt unter Thomas Hengelbrock Symphonien von Johannes Brahms
Irgendwann in den letzten zehn Jahren sind wir Musikfreunde allesamt zu Hobby-Akustikern geworden. Nachdem der jahrelange Ärger um Bauverzögerungen und Kostensteigerungen überraschend schnell verdrängt worden war, ist auch in der Berichterstattung über die Hamburger Elbphilharmonie zum dominierenden Thema avanciert, ob der berühmte Yasuhisa Toyota sozusagen ein glückliches Öhrchen bei der Aushörung des Konzertsaals gehabt hat.
Da das mediale Begleitkonzert funktioniert, kann man jetzt an einer ansprechend aufgemachten Box, die eine CD und eine Dokumentations-DVD enthält, schon einmal an kaum acht Wochen alten Aufnahmen eruieren, wie sich der Hamburger Prestigebau als Studio macht.
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Drei Vorzüge des Saals haben die Techniker des NDR und von Sony zumindest in dieser Pionierproduktion sehr kundig eingefangen: die Natürlichkeit, mit der sich die Instrumente entfalten können, den doch überraschend großzügigen Nachhall, der freilich je nach Umfang des Publikums gedämmt sein wird, sowie die Klarheit, welche den Klangkörper der NDR Elbphilharmonie so abbildet, dass man förmlich durch ihn hindurchschauen kann. Spätestens an diesem Punkt jedoch spricht man nicht mehr bloß über die Akustik, sondern über das, was innerhalb dieser geschieht. Man muss aufpassen, das Medium – hier den Klang eines Konzertsaals – nicht zur eigentlichen Sache zu machen.
Der Klare aus dem Norden
Wenn man eine gewisse Brillanz, auf die Sinne wirkendes Volumen, aber auch Obertonreichtum vermisst, muss das nicht unbedingt am Raum liegen. In seinen mittlerweile fünf Jahren als Chefdirigent hat Thomas Hengelbrock die NDR Elbphilharmonie, das frühere Symphonieorchester des Norddeutschen Rundfunks, restlos den Vorstellungen angepasst, die schon seine Alte-Musik-Ensembles prägten. Das bedeutet schlankes, sauberes, glattes Musizieren, eine garantiert fettfreie Totale, in der es kaum Streichervibrato, erdhafte Verbundenheit der Holzbläser oder feierliches Blech gibt. So beeindruckend das Zusammenspiel auch ist: Man muss den Orchesterklang letztlich steril nennen. Dazu kommt Hengelbrocks gestalterische Neutralität.
Selbst in den zum Bersten geladenen Schlüssen der Ecksätze der 4. Symphonie e-moll, in den blutvoll zigeunernden Passagen des Finales oder auch des Kopfsatzes der 3. Symphonie F-Dur von Johannes Brahms, bleibt die auskomponierte Leidenschaft bloß sportlich. Ein Beispiel dafür, wie jemand nichts falsch macht, aber auch nichts wirklich richtig.
Johannes Brahms: Symphonien Nr. 3 F-Dur und Nr. 4 e-moll; NDR Elbphilharmonie Orchester, Thomas Hengelbrock, bei Sony