"Der verzauberte Pilger" von Rodion Schtschedrin
Der Protest ist personell unterbesetzt, das Schild, das die Dame im Eingangsbereich der Philharmonie hochhält, gleichwohl gut sichtbar. „Keine Bühne für Kriegsunterstützer“ ist darauf zu lesen.
Immer noch – oder immer wieder – taugt Valery Gergiev, der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, zur Reizfigur. Dabei ist der Anlass dieses Konzertes durchaus kein politischer: Der russische Komponist Rodion Schtschedrin, der seit bald dreißig Jahren in München lebt, wurde 85 Jahre alt. Abgesehen von einer Huldigung an das „Heilige Russland“, ist Schtschedrins Konzertoper „Der verzauberte Pilger“, die Gergiev mit St. Petersburger Solisten sowie Chor und Orchester der Münchner Philharmoniker aufführt, der direkten Propaganda eher unverdächtig.
EIn Oratorium ohne jede Dramatik
Wenn die Kritik auch nicht primär Schtschedrin gilt, so zielt sie aber auch nicht völlig an dem Werk vorbei. Denn der Komponist hat in diesem abendfüllenden Stück, das ohne Pause gute anderthalb Stunden dauert, die Kurzgeschichte von Nikolai Leskow zu einer Übung in moralgetränkter und vernehmlich frömmelnder Harmlosigkeit gemacht. Die textlichen und musikalischen Mittel sind geradezu harmoniesüchtig konventionell.
Brüche und Abweichungen werden gemieden. Das wird besonders deutlich, wenn man diese Konzertoper, eigentlich ein Oratorium ohne jede Dramatik, mit einer anderen Leskow-Adaption vergleicht, nämlich der Oper „Die Lady Macbeth von Mzensk“ des einstigen Förderers des Geburtstagskinds, Dmitri Schostakowitsch.
Rodion Schtschedrin hat nichts von seinem Mentor übernommen: Hier die schonungslose, doch packende Schilderung menschlicher Schwäche, dort die mit viel Heiligenschein verbrämte Sehnsucht nach heiler Welt. Eine solche ist aber in einer freien, offenen und modernen Gesellschaft nicht zu haben.
Verschwendung für eine Herzensangelegenheit
Der Aufwand, der für das eher mäßig besuchte Geburtstagskonzert betrieben wird, grenzt an Verschwendung. Die Mezzosopranistin Ekaterina Sergeeva, der Tenor Andrei Popov und der Bassist Sergei Aleksashkin singen so wunderbar, dass man Ehrfurcht vor dem Niveau ihres Stammhauses, dem Mariinsky Theater in St. Petersburg, bekommen muss. Ebenso außerordentlich ist die Leistung des Philharmonischen Chores München (Einstudierung: Andreas Herrmann), dessen sensible Kraftentfaltung professionell zu nennen ist.
Und die Münchner Philharmoniker tönen längst nicht immer so luxuriös wie in dieser Aufführung, einem erklärten Herzensanliegen von Valery Gergiev. Weil er aber die durchgehend bedächtigen Tempi nie rafft und somit keine der vielen Längen gemildert wird, erweist er dieser statischen Konzertoper letztlich einen Bärendienst.