Der Triumph des Geistes über die Materie
Die Streicher spielen eine pathetische Melodie, das Klavier donnert mächtige Akkorde - einer der effektvollsten Momente der klassischen Musik. Der Komponist selbst sprach vom "Kampf zweier ebenbürtiger Kräfte", in dem der "kleine, unscheinbare, doch geistesstarke Gegner siegt, wenn der Pianist begabt ist".
Man kann Peter Tschaikowskys Klavierkonzert Nr. 1 so spielen. Aber man muss nicht. Igor Levit ging die Akkorde im gut besuchten Gasteig fast lyrisch an. Und das mit einiger Folgerichtigkeit, weil der Solist das Orchester begleitet und nicht umgekehrt.
Ähnlich bedacht, überraschend und sehr frei im Tempo auch der Rest: aufregend für fortgeschrittene Hörer, aber nicht ohne die Tendenz, das Konzert in eine Folge aus Liedern ohne Worte, Etüden und Charakterstücken samt Orchesterzwischenspielen zu zerlegen. Mehr ein intellektuell-vergrübelter Schumann also, aber eine Sicht, die Tschaikowsky durchaus verträgt und der immer unterschätzen Würde seiner Musik entspricht.
Als Zugabe spielte der in Russland geborene, aber hörbar in Deutschland pianistisch gereifte Pianist Wagners "Liebestod" in Liszts Bearbeitung. Edo de Waart und die wackere Königliche Philharmonie Flandern begleiteten ihn zuvor mit einfühlsamer Hingabe. Dass der kaum altersmilde Dirigent sich dabei mit Hingebung verleugnete, bewies Anton Bruckners Vierte, die "Romantische". Das Orchester hat eine gute Solo-Hornistin, die Symphonie aber brauste schmetternd, unromantisch und ohne nachhaltigen Eindruck wie ein ICE am Ohr vorbei.
Von Levits Tschaikowsky-Deutung lässt sich das kaum behaupten: An sie wird man sich sehnsüchtig erinnern, spätestens dann, wenn der nächste Russe oder Kraft-Chinese zeigt, wieviel Hornhaut er auf seinen Fingern hat.