Der Tenebrae Choir im Prinzregententheater

Das nahende Jahresende ist ein guter Zeitpunkt, wieder einmal dem Publikum ein Kompliment zu machen - die Husterin und der Huster, die es wieder einmal schaffen, in den leisen Schlussakkord hineinzubellen, explizit ausgenommen. Der Rest der Hörenden jedoch verhält sich tadellos diszipliniert, was in diesem Konzert besonders anerkennenswert ist.
Zwar ist der englische Tenebrae Choir ein herausragendes Ensemble, doch das Repertoire ist hierzulande vollkommen unbekannt, und man muss schon bis zum Schluss warten, um einer vertrauten Melodie zu begegnen. Dann jedoch ist das nicht irgendein, sondern das Weihnachtslied schlechthin, nämlich "Stille Nacht" von Franz Gruber.
Typisch englisch
Wie alle der einzelnen Stücke des Programms "In Winter's House" erscheint es in einem raffinierten Arrangement, leicht modern angehaucht, aber keineswegs abschreckend, sondern die Schönheit der Stimmen feiernd: typisch englisch eben.
Das lateinische Wort, das dem Tenebrae Choir seinen Namen gibt, bedeutet Dunkelheit, aber das ist nicht programmatisch zu verstehen. Das Ensemble hat zwar zwei echte Bässe, die etwa in der Motette "Vox dicentis" des spätromantischen Kirchenmusikers Edward Naylor schwarze Abgründe aufreißen, doch generell ist das Klangbild hell timbriert, mit knabenhaft geraden Frauenstimmen und jugendlich keusch intonierenden Tenören: auch das so britisch wie der Rechtsverkehr.
Engelsgleiche Reinheit
Der Leiter Nigel Short, ein ehemaliger Countertenor, hatte, als er den Kammerchor 2001 gründete, eine glückliche Idee: dass nämlich das Ensemble als Ganzes so flexibel reagieren solle wie die sechsköpfigen The King's Singers, denen er angehörte. Tatsächlich sind die zehn Frauen und neun Männer beispielsweise in "The Truth from Above" von Ralph Vaughan Williams kammermusikalisch aufeinander abgestimmt, modulieren den Klang in mikroskopischer Harmonie und engelsgleicher Reinheit.
Dazu gruppiert Short die Register immer wieder um, wodurch, wie etwa in "The Aldeburgh Carol" mit seinem entfernt postierten Solisten, auf der Bühne des Prinzregententheaters anheimelnde Raumwirkungen entstehen. Die populäre Zugabe, "The Twelve Days of Christmas", belohnt das Publikum noch einmal extra für seine stille Andacht. Die lustigen Tierlaute des Arrangements von Ian Humphris - Quaken, Gackern und Muhen - bringt der Tenebrae Choir, obwohl eine Sopranistin ihr Lachen kaum zurückhalten kann, wohlgemerkt mit gebührender Contenance: Auch dieser Humor verdient es, typisch englisch genannt zu werden.