Der Meister der Kollateralkritik

Alligatoah lässt seine Gesellschaftskritik von Ohrwürmern durchlöchern. "Musik ist keine Lösung", das neueste Werk des Schauspiel-Rappers, ist klug, witzig und so catchy, dass selbst die kleine Schwester dazu tanzen will. Interview mit dem Multitalent.
von  (mia/spot)

München - Keine Prostituierte, kein Koks, kein Beef: Mit den Klischees des typischen Rap-Stars hat Lukas Strobel alias Alligatoah nichts zu tun. Die Welt ist schon verrückt genug - und Strobel clever genug, um es ihr mit teuflischer Engelsstimme, unverschämt eingängigen Melodien und tiefschwarzem Humor vor Augen zu führen. Selbst bei Trailerpark, der ehrenlosen Rap-Spaßtruppe, die keine Tabus aber die Adresse der Bundesprüfstelle auswendig kennt, spielt der 26-Jährige die Rolle des einzig zurechnungsfähigen Parts.

Der Schauspiel-Rapper in Aktion - als Bill Kaulitz, Udo Lindenberg, Herbert Grönemeyer und Xavier Naidoo in "Denk an die Kinder!"

Sitzt man Lukas nun live gegenüber, wird allerdings schnell klar, dass er diesen Part eben nicht nur spielt. Auf die Frage, was ihn auf die Palme bringt, antwortet er nach langem Überlegen, dass man dafür schon einiges ausprobieren müsste. Wie er sich bei einem Streit im Trailerpark-Tourbus verhält? "Da bin ich tatsächlich der Teil, der diplomatisch versucht, die Dinge zu regeln." Juckt es ihn wenigstens, dass sein Lieblingsmedium, das Album, gerade am Aussterben ist? "Nein, ich bin ein Freund von Anpassung."

Den Faible für's Konzeptalbum ("Grenzen machen vieles leichter") lebt er auch auf seinem neuesten Werk "Musik ist keine Lösung" wieder aus. Nach Gott und der Liebe ist das übergreifende Thema diesmal unsere Gesellschaft und ihre Probleme. In "Teamgeist" werden Tierfreunde zu Nazis: "Schon Caesar hatte Hunde, laut der Legenden / Wir sind quasi seine Erben, wir sind Herrchenmenschen". In "Das bedeutet Krieg" heißt es: "Du hast gedacht, wir wären aus dem Alter raus / Doch ich säge lieber Bäume ab, bevor ich mich im Wald verlauf". Und wirklich brillant wird es im Titelsong, der ab jetzt einfach bei jedem Charity-Event als Dummy gespielt werden sollte, dessen Text hier aber den Rahmen sprengt, deshalb lesen Sie bitte hier.

Wer da, wie damals beim platinveredelten Hit "Willst du?", nicht mitdenkt, ist selbst schuld. "Meine Lieder sind nur Beobachtungen, aber die sind so gemacht, dass sie eventuell zu einer Kritik führen können... Kollateralkritik sozusagen." Die kommt natürlich nicht bei jedem an, weshalb auf Alligatoah-Konzerten Welten aufeinander treffen: Die Kids, die ihre Musik noch aus den Charts beziehen und die "reiferen" Fans, die ihre Musik aus der Vergangenheit beziehen. "Das Phänomen bei meinen Fans ist ja, dass jeder das Gefühl hat, die Musik für sich verstanden zu haben. Aber alle anderen haben sie natürlich nicht verstanden. Dadurch kommt keine Gemeinschaft zustande."

Wie aber kommen Lieder zustande, die so unterschiedliche Menschen zusammenbringen? Per Zufall, wenn man Strobel glauben mag: "Manchmal reicht es, wenn man die Augen zu macht und auf die Tasten des Klaviers haut. Dann hat man was Schönes, was durch Zufall entstanden ist und womit man weiter arbeiten kann. So kann man den Zufall formen." Nach Zufall klingen seine verboten eingängigen "Ohrparasiten" wahrlich nicht. Wie gern er damit arbeite, beweisen dafür seine kreativen Akustik-Versionen mit Straßenmusikern, die als zusätzliches Album auch in der CD-Box erhalten sind.

So gesehen ist Alligatoah ein rappender Liedermacher auf Beobachtungsposten, mit schnellem Mundwerk, spitzer Zunge, ausgeprägtem Hitfetisch, unheimlich schöner Singstimme und so vielen Ideen, dass er ein eigenes Wort hat für Witze, die in der Humor-Flut untergehen: "Ich nenne das 'Im Lachschatten'". Eine Karriere zwischen den Stühlen. Gut, dass sich der Mann auch noch selbst als Schauspiel-Rapper begreift und damit sowieso machen kann, was er will. Klug, ironisch, catchy und Bock auf übertriebene Inszenierung - vielleicht sollte einfach Alligatoah für Deutschland zum ESC fahren.

 

 

 

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