Der letzte Rocker ist tot
Er wollte auf der Bühne sterben, mit den Cowboystiefeln voraus aus der Halle getragen werden, so wie es sich für eine Rock-Legende gehört. Doch dieser letzte Wunsch blieb ihm versagt: Lemmy Kilmister, diese Inkarnation des Sex and Drugs and Rock‘n’Roll, dieser Mensch gewordene Exzess, starb in seinem Apartment am Sunset Strip in Los Angeles.
Lemmy saß vorm Fernseher, spielte im Kreise seiner Familie auf seiner Lieblingskonsole, als er den Kampf gegen den Krebs verlor. Lemmy schlief friedlich ein. Die Cowboystiefel hatte er an. „Es gibt keine Art, wie man diese grausame Wahrheit gut verbreiten kann. Unser edler Freund, der großartige Lemmy, ist von uns gegangen“, erklärten Motörhead, „spielt seine Musik so laut es geht. Ehrt so sein Leben, das er selber so genossen hat. Denn das ist genau das, was er wollte. Zelebriert sein Leben, nicht seinen Tod.“
Die Stimme für harte Klänge
Der 28. Dezember 2015 ist der Tag, an dem die prägnanteste Stimme der harten Klänge für immer verstummt ist. Am 24. Dezember hatte er, der als Sohn eines Armeepfarrers geboren wurde, seinen 70. Geburtstag gefeiert, zwei Tage später hatten ihm die Ärzte eröffnet, dass er an einer extrem aggressiven Form von Krebs litt, weitere zwei Tage später war er tot. „Killed By Death“ wie einer der Gassenhauer von Motörhead lautete: vom Boandlkramer heimgesucht.
Diesen Ian Fraser Kilmister kannte alle Welt nur als Lemmy. Der Spitzname rührte daher, dass er früher notorisch pleite war und jeden angebettelt hat: „Can you lemme a fiver?“ – „Kannst du mir einen Fünfer borgen?“ Dieser Lemmy, der zwei uneheliche Söhne hat, prägte dank seiner whiskey- und nikotingetränkten Stimme die Welt des Metals, die er eigentlich nicht mochte. Er hielt die Beatles für die beste Band, die je den Erdball betreten hat, er verehrte Bill Haley.
Lemmy bestand drauf, dass Motörhead Rock‘n’Roll machten. So eröffnete er alle Konzerte mit den Worten „We are Motörhead – and we play Rock‘n’Roll!“ Die Urgewalt, mit der er seinen Rickenbacker-Bass in infernalischer Lautstärke, die Motörhead über Jahre den Eintrag als lauteste Band der Welt im „Guinness Buch der Rekorde“ einbrachte, spielte, dazu seine Stimme, die „Flatulenzen der Hölle“, machte Generationen von Rock-Musikern zu Lemmy-Jüngern.
Er schuf Songs für die Ewigkeit: „Overkill“, „Bomber“, „Orgasmatron“, „1916“ und natürlich „Ace Of Spades“ haben Lemmy und Motörhead, die noch am 20. und 21. November im Münchner Zenith auftraten, einen der exponiertesten Plätze im Pantheon der Rock-Götter gesichert. „Wir sind nicht die beste Band der Welt, aber ziemlich sicher die lauteste. Und auf jeden Fall die hässlichste“, meinte er, der einst Sid Vicious von den Sex Pistols das Gitarrespielen beibringen sollte, was aufgrund dessen mangelnden Talents scheiterte.
Roadie für Jimi Hendrix
Seine Karriere begann Lemmy als Roadie für Jimi Hendrix. Kilmister kümmerte sich nicht nur um die Sechssaitige des Gitarren-Gottes, sondern versorgte ihn auch mit Drogen. Lemmy selber war für seinen Konsum berühmt-berüchtigt.
„Ich führe ein gesundes Leben. Bis auf den Alkohol und die Drogen“, sagte er mit seinem trockenen Humor. Zwei Flaschen Jack Daniels (mit Cola) leerte er 50 Jahre lang jeden Tag. „Ich hatte nie einen Kater, denn ich habe nie aufgehört zu saufen“, sagte Lemmy, der vor einigen Jahren aufgrund seiner Diabetes auf Wodka Lemon umstieg. „Das hat weniger Zucker“, sagte er.
Bis zu 200 Zigaretten qualmte er am Tag. Und dann die Drogen. „Ich habe alles ausprobiert. Bis auf Heroin. Denn Heroin ist stärker als du. Es vernichtet dich“, sagte Lemmy. Heroin vernichtete seine große Liebe Susann Bennett. Als er 19 war, ließ sie sich mit Heroin zugedröhnt eine Badewanne ein – und ertrank. Sie – eine Schwarze, was damals als skandalöse Verbindung galt – bezeichnete er stets als seine einzige Liebe. Zu ihrer Beerdigung ging er nicht. „Wer will schon die Toten sehen? Ich mag die Menschen, solange sie leben.“ Seine enge Freundin Wendy O. Williams beging 1998 Selbstmord.
Ein Nachdenklicher
Lemmy, der mit 15 die Schule abgebrochen hatte, war ein nachdenklicher, gebildeter, kontroverser Mensch. Er wetterte gegen Politik („Früher durfte man Menschen als Weicheier bezeichnen, heute nicht, denn jetzt sind die Weicheier an der Macht“), gegen Religionen („Eine Jungfrau wird von einem Geist geschwängert? Piss off! Wenn Josef das geglaubt hat, geschieht es ihm recht, dass er betrogen wurde“). Er glaubte an die Wiedergeburt, war überzeugt, im Zweiten Weltkrieg in der SS gedient zu haben, hatte eine ausufernde Sammlung an Nazi-Devotionalien, war aber stets ein Feind dieser Ideologie.
Wer ihn traf, bekam es mit einem Gentleman zu tun. Einer, der immer schaute, dass nicht nur sein eigenes Glas stets voll war, der immer erst dem Gast nachschenkte. „Ich bin Rock‘n’Roller, kein Rüpel.“
Jetzt hat der letzte Rock‘n’Roller die Bühne verlassen. Seine Bühne. Die letzten Worte gehören der Legende und entstammen der Hymne „Ace Of Spades“: „I Don’t Wanna Live Forever“. Ich will nicht ewig leben.
Er nicht, seine Legende schon.
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