Der gefallene Engel

Auf ihrer neuen CD mit Arien von Giuseppe Verdi vollzieht Anna Netrebko den Schritt ins dramatische Fach und singt Lady Macbeth
von  Robert Braunmüller

Die Tadolini hat eine schöne und gute Figur“, heißt es in einem Brief von Giuseppe Verdi. „Ich möchte die Lady Macbeth hässlich und böse. Die Stimme der Tadolini hat etwas Engelhaftes. Die Stimme der Lady soll etwas Teuflisches haben.“

Wenn man diese Wort ernst nimmt, ist das süße Mädel aus Russland als Lady eine Fehlbesetzung. Anna Netrebko wagt auf ihrer neuen Platte trotzdem die drei Solo-Szenen. Und am 27. Juni nächsten Jahres wird sie die diese schwierige Rolle zum ersten Mal auf der Bühne singen – in Martin Kušejs Inszenierung im Münchner Nationaltheater.

Die neue Platte versetzt erst eine kalte Dusche: Die Netrebko liest Macbeths Brief nicht für sich, sondern wie in einem Schulfunkhörspiel ohne inneres Erschrecken. Der Übergang von der Sing- zur Sprechstimme schmeckt nach Studio und Plastik. Dann aber folgt ein Lehrstück, wie diese Musik gestaltet werden kann: Die Netrebko demonstriert ihre Kunst, allein mit der Färbung ihrer Stimme eine Figur zu charakterisieren.

„Vieni! T’affretta“ singt sie sehr hart, am Ende von „La luce langue“, bei der zynischen Aussage, den Gemordeten gebühre nur noch ein Requiem, wird ihr Sopran ganz fahl. Diese Lady ist ein gefallener Engel, eine schöne, gefährliche Frau. Verdis Kritik an der Tadolini wurde ohnehin allzuoft als Vorwand benutzt, um die Rolle mit Stimm-Ruinen zu besetzen. Und da die Russin ihr Bühnendebüt als Lady nicht in einem altmodischen Kostümschinken geben wird, scheint sie fest entschlossen, ihrem Porträt weitere Farben hinzufügen.

Weniger gelang auf dieser von Gianandrea Noseda und dem Orchester des Teatro Regio Turin sensibel begleiteten Platte die Szene der Elisabeth aus dem letzten Akt von „Don Carlos“: Mit der inneren Trauer der Figur hat die Russin ihre Probleme. Auch die vor zwei Jahren auf dem Königsplatz umwerfende Kerkerszene der Leonora aus „Il trovatore“ wirkt im stark gedehnten „D’amor sull’ali rosee“ manieriert. Doch im oft gestrichenen Schlussteil „Tu vedrai“ kann die Sängerin ihre Stärken ausspielen: Für dramatischen Koloraturgesang gibt’s keine Bessere.

Anna Netrebko: „Verdi“ (Deutsche Grammophon)
 

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.