Der Chor des Bayerischen Rundfunks singt Bachs "Johannespassion"

Tief eingetaucht ins Drama der Passion Christi: Peter Dijkstra dirigiert die "Johannespassion"
Robert Braunmüller |
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Die Aufführung begann mit einem kräftigen Rumms. Die Generalbass-Gruppe griff voll in die Saiten, der Mann am Riesenkontrafagott legte eine noch sonore Oktave drunter und die Truhenorgel auch. Damit war eins schon mal in aller Deutlichkeit klargestellt: Peter Dijkstra versteht Bachs „Johannespassion“ als Drama.

Und das mit einiger Konsequenz: Die kleinen Rollen übernahmen nicht die Solisten, sondern wurden mit Sängern aus dem Chor des Bayerischen Rundfunks besetzt. Der überragende Julian Prégardien berichtete als Evangelist nicht nur vom Leiden Jesus Christus, er fühlte das Geschehen leidenschaftlich mit. Und das macht derzeit niemand besser als dieser Sänger.

Dazu gleichrangig antwortete Tareq Nazmi allen Anwürfen als Jesus Christus mit gelassener, herrscherlicher Autorität. Und die Choräle bildeten den abgeklärten Ruhepunkt und Gegensatz zum hitzigen Geschehen.

Obwohl der Bayerische Rundfunk über zwei Orchester verfügt, die auch historisch informiert spielen, leistete man sich den schönen Luxus, das beste deutsche Originalklangensemble zu engagieren: Concerto Köln. In den Arien und Chören dominierte der unvergleichliche reiche Klang der Nachbauten alter Blasinstrumente. Eine Viola da Gamba bereicherte neben einer Laute die vom Cembalo begleiteten Rezitative, in die sich bei den Christusworten eine Orgel mischte.

Leider wieder die Standard-Fassung

Gemessen am Anspruch, die Passion als Drama zu interpretieren, nahm Dijkstra Chöre wie „Wir haben ein Gesetz“ oder „Kreuzige“ ein wenig zahm. Es ließe sich auch darüber streiten, ob der eher dunkle, runde Klang des BR-Chors wirklich zur obertonreichen Helligkeit eines Originalklangensembles passt. Aber es wäre eine Debatte über höchstes künstlerisches Niveau.

Der Tenor Tilman Lichdi hatte das Pech, sich kopfüber in die heikle Arie „Ach mein Sinn“ stürzen zu müssen. Sie wurde nur von Streichern gespielt, obwohl Bach „alle Instrumente“ vorschreibt. Und wie in jeder Barock-Aufführung unter Dijkstra wurde jede dynamische Vorschrift des Komponisten mehr als Vorschlag denn als Vorschrift betrachtet.

Aber das waren Kleinigkeiten. Und da wir gerade bei den Petitessen sind: Gespielt wurde die übliche Standard-Version der Neuen Bach-Ausgabe. In dieser folgen aber nach dem Schlusschor auf S. 164 noch 98 weitere Seiten mit Alternativ-Arien. Eine Menge Musik von Bach, die jeden fortgeschrittenen Passions-Freund interessieren müsste. Wer außer dem wohlbestallten Bayerischen Rundfunk wäre in unserer Stadt eigentlich eher dafür bestimmt, einmal den Blick in Bachs Werkstatt zu wagen und nicht nur das vorösterliche Ritual zu bedienen?

 

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