Kritik

Depeche Mode in München: Dave Gahan entsteigt dem Jungbrunnen

Depeche Mode rockten am Donnerstag in der Olympiahalle. Der Tod stand dabei im Mittelpunkt und natürlich der Sänger der Band: Dave Gahan (61).
von  Dominik Petzold
Depeche Mode in der Olympiahalle in München.
Depeche Mode in der Olympiahalle in München. © Jens Niering

München - Bedenke, dass Du sterben wirst: Darauf werden die Zuschauer in der Olympiahalle pausenlos hingewiesen. "Memento mori" lautet der Titel der Tour und des aktuellen Albums von Depeche Mode, und so prangt ein riesiges "M" mahnend vor der Großleinwand.

Beim Schlusssong "Enjoy The Silence" wird das Motto dann näher ausgeführt: In einer der Videoprojektionen von Anton Corbijn, dem Weltstar-Kreativdirektor der Band, frisst sich Getier in glitzernde Totenschädel, ganz so, wie’s für uns alle mal enden wird, vom funkelnden Glamour mal abgesehen. Und die Moral von der Video-Geschicht‘ steht am Ende in fetten Buchstaben auf der Stirn der Toten: "Enjoy!"

Dauer-Pirouetten, die selbst Kinder in den Schwindel treiben müssten

Das Leben genießen, so lange man’s noch kann: Dieses Konzert ist eine schöne Gelegenheit dafür. Seit einem Jahr sind Depeche Mode inzwischen auf Welttournee, im Sommer spielten sie schon im Olympiastadion, nun legten sie in der Halle nebenan nochmal nach, mit einer nahezu identischen Setlist mit Songs aus fünf Jahrzehnten. Diese Feier im Angesicht des Todes ist auch deshalb so gelungen, weil Sänger Dave Gahan offenbar zumindest den Verfallsprozess zu Lebzeiten aufzuhalten vermag, auf ganz erstaunliche Weise.

Depeche Mode in der Olympiahalle in München.
Depeche Mode in der Olympiahalle in München. © Jens Niering

Der 61-Jährige tänzelt, derwischt und kreiselt zweieinhalb Stunden lang über die Bühne. Ständig schlägt er Dauer-Pirouetten, die selbst Kinder in den Schwindel treiben müssten, und einmal beugt er sich nach vorne und legt die Hände auf den Boden – bei durchgestreckten Beinen, wohlgemerkt. Als man sich schon auf einen Spagat des Schlangenmanns einstellt, muss er dann doch wieder das Mikro in die Hand nehmen und "I Feel You" weitersingen. Und klar, bei so viel ungebrochener Rockstar-Kraft wird der Mikroständer auch mal als Phallussymbol emporgereckt.

Angetrieben wird Gahan von der Dauer-Power des österreichischen Schlagzeugers Christian Eigner, den Rest besorgen Keyboarder und Kurzzeit-Bassist Peter Gordeno, ein paar programmierte Einspielungen und Songwriter Martin L. Gore, der zwischen Synthie und stylischen Gitarren hin- und herwechselt. Der 62-Jährige ist neben Gahan das einzige verbliebene Bandmitglied, nachdem Andrew Fletcher 2022 unerwartet mit 60 Jahren verstorben ist. Dieser Schicksalsschlag hat Gahan und Gore zum "Memento Mori"-Motto veranlasst, dem verstorbenen Gründungsmitglied widmen sie an dem Abend den Song "Behind The Wheel".

"Happy Birthday" für eine Zuschauerin namens Maria

Den ersten Höhepunkt hat die Show da längst hinter sich. Denn gleich nach zwei Eröffnungssongs vom neuen Album packen Gahan und Gore fünf Knaller hintereinander: "Walking In My Shoes", "It’s No Good", "Policy Of Truth", "In Your Room" und "Everything Counts". In diesen fünf Songs stecken so viele genialisch-unorthodoxe Akkordwechsel, unvergessliche Riffs und hymnische Refrains, dass das Energielevel danach zwangsläufig etwas nachlassen muss. Für eine Zuschauerin namens Maria allerdings eher nicht: Das Geburtstagskind in der ersten Reihe vor dem Bühnensteg wird vom charmanten Mister Gahan mit einem spontanen "Happy Birthday" bedacht, ganz puristisch zur Klavierbegleitung von Peter Gordeno.

Er begleitet auch Martin Gore bei seinem Keith-Richards-Moment zur Hälfte der Show: den Balladen "Strangelove" und "Somebody", die er mit "wunderschöner Engelsstimme" singt, wie Dave Gahan anschließend würdigt. Der Rest ist pumpender, zupackender Synthie-Pop, der auf seine Essenz reduziert wird. Der schnörkellose Sound passt gut in die akustisch schwierige Olympiahalle, vom etwas schwammigen Bassbereich mal abgesehen. 

"Personal Jesus" zum Abschied

Spektakulär wird es dann mit der Schlussnummer, der Überhymne "Enjoy The Silence": Den Refrain überlässt Gahan seinem Münchner Publikum – und wie tonsicher diese Tausende singen, ist schlichtweg verblüffend. Ihre Musikalität beweisen sie dann nochmal beim discopoppigen "Just Can’t Get Enough", einer der vier Zugaben, an deren Ende Gahan diesen Riesen-Chor dirigiert.

Als Belohnung haben Gahan und Gore dann noch ihre allergrößten Songs auf Lager, das besonders strahlende "Never Let Me Down Again" und "Personal Jesus": das Ende eines höchst lebendigen Abends.

Setlist von Depeche Mode in der Olympiahalle

  • My Cosmos Is Mine
  • Wagging Tongue
  • Walking in My Shoes
  • It's No Good
  • Policy of Truth
  • In Your Room
  • Everything Counts
  • Happy Birthday to You (for a fan called Maria)
  • Precious
  • Before We Drown
  • Strangelove (sung by Martin, acoustic)
  • Somebody
  • Ghosts Again
  • I Feel You
  • A Pain That I'm Used To
  • Behind the Wheel (Dedicated to Andrew Fletcher)
  • Black Celebration
  • Stripped
  • John the Revelator
  • Enjoy the Silence

Zugaben:

  • Condemnation (Acoustic)
  • Just Can't Get Enough
  • Never Let Me Down Again
  • Personal Jesus
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